Gleich zwei Stücke feierten am vergangenen Wochenende Premiere im Schauspielhaus Kiel – und sie hätten unterschiedlicher kaum sein können. Während Ulrich Hüni das zeitgenössische Drama „Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig am Freitag temporeich und berührend auf die Studio-Bühne brachte, versuchte sich Daniel Karasek am Samstag an Tennessee Williams’ Klassiker „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ und sorgte damit für einen eher langatmigen Abend.
„Die Katze auf dem heißen Blechdach“ – überzeugende Schauspieler unter fader Regie
Williams’ Theaterstück von 1955 erzählt die Geschichte einer millionenschweren Farmer-Familie aus dem Mittleren Westen der USA und spielt am 65. Geburtstag des Familienoberhauptes Big Daddy. Big Daddy ist todkrank, ohne es zu wissen, denn seine Familie verheimlicht ihm diese Tatsache. Es entbrennt ein heimlicher Kampf um das Erbe, das Sohn Gooper und dessen habgierige Frau Mae unbedingt einstreichen wollen. Dem anderen Sohn, dem Trinker Brick, ist das Theater ums Vermögen hingegen vollkommen egal. Nur seine hübsch Frau Maggie fährt sehr bald ihre Krallen aus.
Inwieweit ein Stück aus den fünfziger Jahren, das zudem in einer der spießigsten Sphären der Vereinigten Staaten spielt, heute noch relevant ist, konnte Daniel Karasek mit seiner Inszenierung nicht beantworten. Zweifelsohne bieten Habier, Verlogenheit und Familien-Intrigen eine zeitlosen Stoff – doch der Abend blieb, was die Regie angeht, leider einigermaßen nichtssagend. Auch das überholte Bühnenbild (Norbert Ziermann) und die faden Kostüme (Elisabeth Richter) zeigten wenig Innovatives.
Ein Glück, dass die Schauspieler größtenteils eine wirklich beachtliche Leitung ablieferten. Allen voran begeisterte Rainer Jordan als hemmungslos garstiger Big Daddy. Und Marko Gebbert brachte einen Brick auf die Bühne, der gefühlvoller nicht hätte gespielt werden können. Chapeau – diesen beiden ist es zu verdanken, dass der langatmige Abend doch einige intensive Höhepunkte vorweisen kann.
Außerdem machte Almuth Schmidt als Big Mama eine wirklich gute Figur. Claudia Friebel spielte die „Katze“ Maggie hingegen über große Strecken leider spürbar kalkuliert und wenig intuitiv, und Ellen Dorns ständiges Gekreische als gierige Mae wurde dann irgendwann auch sehr aufdringlich. Fazit: Rainer Jordan und Marko Gebbert brillieren. Die Inszenierung kann man sich ansehen, muss man aber nicht.
„Der goldene Drache“ – großes Theater auf kleiner Bühne
Was sich hingegen ganz unbedingt anzusehen lohnt, ist Roland Schimmelpfennigs 2009 uraufgeführtes Drama „Der goldene Drache“ auf der Studio-Bühne am Schauspielhaus. Da gibt es dieses Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant. In der klitzekleinen Küche: vier Asiaten und ein weiterer kleiner Chinese mit höllischen Zahnschmerzen. In der Wohnung darüber: ein betrunkener Mann, der von seiner Frau verlassen wurde. Nebenan: zwei Stewardessen und der so genannte „Barbie-Fucker“. Daneben: ein junges Paar mit Nachwuchssorgen. In der Dachwohnung: ein alter Mann, der so gerne wieder jung und potent wäre. Und als wäre das nicht genug, spinnt sich zwischen alldem noch die gesungene Fabel von der fleißigen Ameise und der Grille, die so großen Hunger hat.
Der erste Coup: Wie Schlaglichter werden Szenen aus den jeweiligen Geschichten zusammen montiert und sorgen in Cliffhanger-Marnier das gesamte Stück über für Spannung. Der zweite Coup: Hier ist nichts, wie es scheint. Die Alten werden von den Jungen gespielt, die Männer von den Frauen und umgekehrt. Im Minutentakt schlüpfen die Schauspieler nicht nur in andere Rollen, sondern immer auch in neue Szenen. Ein Balance-Akt, der am Freitag bravourös gelang.
Claudia Macht, Werner Klockow, Isabel Baumert, Roman Hemetsberger und Andreas Hilscher zeigen sowohl jeder für sich, als auch im Zusammenspiel auf der gerüstartigen Bühne (Ausstattung: Isabel Robson) ganz großes, sehr unterhaltsames Theater. Mal ganz amüsant, mal zum Prusten komisch, mal anrührend, mal laut und schnell, mal still und schleichend, schließlich traurig und sogar erschütternd.
Am Ende bleibt – der genaue Grund sei nicht verraten – ein fader Nachgeschmack, denn Schimmelpfennig lässt seine Zuschauer raffiniert auf sich selbst hereinfallen. Trotzdem, vielleicht auch gerade deswegen: ein gelungener Abend, eine sehenswerte Inszenierung.
Karten und weitere Informationen zu den Vorstellungen am Schauspielhaus Kiel unter www.theater-kiel.de
Fotos: struck-foto