Michael Beyer arbeitet als Gebäudereiniger in Kiel und hat schon so manches Hochhaus bezwungen. Das Fensterreinigen in luftigen Höhen bereitet ihm trotz der Gefahr ein besonderes Glücksgefühl.
Vierzig Meter geht es vom Dach des Finanzministeriums in der Adolfstraße in die Tiefe. Beim Blick hinunter auf die grüne Rasenfläche mit ihren winzigen Blumen-Pünktchen breitet sich ein mulmiges Gefühl im Bauch aus. Besonders, weil es heute sehr windig ist und der Fassadenaufzug mit seiner kleinen Gondel, die an zwei Drahtseilen hängt, nicht gerade vertrauenswürdig aussieht …
Doch Michael Beyer, Gebäudereiniger und Objektleiter bei der Firma Guttau in Kiel, ist guter Dinge. Erst ab Windstärke sechs darf der Aufzug nicht mehr benutzt werden. Außerdem ist er schon seit 32 Jahren im Geschäft, und so ein bisschen Wind kann ihn nicht schocken. „Das ist ein absoluter Traumjob“, findet er und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen. Es ist ein sonniger Tag, die Möwen kreischen, und die Sicht ist klar. Von hier aus kann man über ganz Kiel schauen: Auf der einen Seite breiten sich Rathausturm, Fernsehturm, Unihochhaus und Wasserturm aus, auf der anderen Seite reicht der Blick über die Förde bis nach Laboe. Doch dann wird es ernst: Michael Beyer schnallt sich das Gurtzeug um und steigt, samt Eimer und Reinigungsgeschirr, in die Gondel, die Platz für zwei Personen bietet und bis zu 250 Kilogramm Gewicht tragen kann. Er sichert sich mit einem großen Karabinerhaken an der Gondel, bevor sie langsam nach oben fährt und schließlich über den Rand des Daches schwenkt. „Das ist auch nach all den Jahren immer noch mit Bauchkribbeln verbunden“, erzählt Michael Beyer, „und so mancher Kollege musste an dieser Stelle bereits kapitulieren.“ Denn die Gondel schaukelt bedenklich hin und her, was ein bisschen an Riesenradfahren erinnert. Erst, als die Gondel wieder nach unten fährt und schließlich in die Fassade eingehakt wird, gewinnt der Aufzug an Sicherheit. Nur beim Abwärtsfahren ruckelt es noch ein wenig.
Jetzt kommt das Reinigungsgeschirr, bestehend aus Wischer, Einwascher und Ledertuch, zum Einsatz: Unermüdlich schwingt der 49-Jährige seinen Lappen und bringt Fenster für Fenster des 70er-Jahre-Baus zum Strahlen. Er ist hochkonzentriert und ganz in seinem Element. Die Tiefe hat er vollkommen ausgeblendet. „Mir macht die Höhe nichts aus“, sagt der gelernte Gebäudereiniger. „Als ich 1976 meine Ausbildung in Lübeck angefangen habe, war es Bedingung, schwindelfrei zu sein.“ Doch das Fensterputzen mit einem Fassadenaufzug wird in der heutigen Zeit immer seltener. Der Grund: Früher wurden die Fenster so gebaut, dass sie sich nicht nach innen öffnen lassen und die Außenflächen daher auch nicht von innen geputzt werden können – so wie beim Finanzministerium. Zweimal im Jahr werden die 384 Fenster der zwölf Stockwerke auf Hochglanz gebracht. Dafür braucht Michael Beyer zusammen mit einem Kollegen mehrere Tage. Wichtig ist in erster Linie gutes Wetter. Oft wird erst morgens vor Ort entschieden, ob auch wirklich gereinigt werden kann. „Was man bei Sonne auf keinen Fall vergessen darf, sind Sonnencreme und Sonnenbrille“, erzählt der 49-Jährige schmunzelnd. „Denn die Fenster reflektieren das Licht, und man kann sich einen bösen Sonnenbrand holen.“
Heute ist so ein Tag: Die Sonne prallt heiß auf die Scheiben, und bei 26 Grad kommt man ganz schön ins Schwitzen. Doch das ist das geringste Übel. „Einmal bin ich in 22 Metern Höhe steckengeblieben“, erinnert sich der Guttau-Mitarbeiter, „und musste von Kollegen per Hand hochgekurbelt werden. Das war schon aufregend.“ Trotz aller Risiken geht Michael Beyer in seinem Beruf auf – und auch nach 32 Jahren zaubert ihm sein Arbeitsplatz mit der fantastischen Aussicht noch ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht.
(kek)