Eigentlich ist "Der blonde Eckbert" ein Märchen. Ein Kunstmärchen, um genau zu sein. Geschrieben nämlich von Frühromantiker Ludwig Tieck und erstmals erschienen im Jahr 1797. Zwei Jahrhunderte später nahm sich die Schottische Komponistin Judith Weir der Geschichte an und schuf aus dem romantischen Kunstmärchen eine packende Kammeroper, die 2006 in London uraufgeführt wurde.
Vergangenen Montag feierte "Der blonde Eckbert" im ersten Foyer des Kieler Opernhauses, der "Milchstraße", Premiere.
Sie sitzen schon bereit, Tim Stekkelies als Eckbert und Aviva Piniane als Bertha, als die rund fünfzig Premierenzuschauer die Milchstraße kurz vor Vorstellungsbeginn betreten. Eckbert putzt sein Fernglas, Bertha schneidet Figuren aus Papier. Hin und wieder blicken beide auf und lächeln selig. Adrett sehen sie aus, in ihren grauen Kleidern. Ein bisschen bieder vielleicht, aber in gutem Hause gehört sich das wohl so. Die starren, helmartigen Frisuren über den apfelbäckigen Gesichtern irritieren, wecken Assoziationen an Holzpuppen, an Marionetten, an Pinocchio. "Wer lügt, bekommt eine lange Nase!", schießt es einem durch den Kopf. Doch ist es nicht die Lüge, die in "Der blonde Eckbert" das Unheil auslöst, nein, hier es ist die Wahrheit.
Ein düsteres Geheimnis
Aber von vorne: Eckbert und Bertha sind glücklich verheiratet und leben zurückgezogen im Wald. Eines Abends bekommen sie in ihrer einsiedlerischen Idylle Besuch von Eckberts Jugenfreund Walther, gespielt von Amani Robinson. Um sich den Abend auf gesellige Weise zu vertreiben, fordert Eckbert seine Frau auf, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Sie zögert zunächst, gibt dann aber nach. Es folgt ein dramatisch inszenierter Bericht über Berthas Jugend: Als Kind flüchtet sie aus dem lieblosen Elternhaus in den Wald, wo sie von einer wundersamen, alten Frau aufgenommen wird. Berthas einzige Freunde sind ein Vögelchen und ein Hund, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnert. Eines Tages beschließt Bertha, in die Zivilisation zurückzukehren und läuft davon. Den Hund lässt sie jedoch allein zurück, das Vögelchen tötet sie unterwegs. Nachdem sie feststellen muss, dass ihre Eltern längst verstorben sind, lernt sie Eckbert kennen und die beiden heiraten.
Das Erzählen der Geschichte ist der Ursprung allen Übels. Denn plötzlich nennt Walther den Namen des Hundes, den ja eigentlich nur Bertha kennen kann: Strohmian. Bertha ist entsetzt und verzweifelt zusehends. Eckbert spürt die Bedrohung und aus Furcht, die heile Welt könne zerbrechen, tötet er Walther. Vor Gram stirbt anschließend auch Bertha. Und dann taucht plötzlich ein Fremder auf, der Eckbert ein düsteres Geheimnis offenbart, das ihn endgültig in den Wahnsinn teibt.
Opernkrimi mit starken Protagonisten
In Nele Tippelmanns Inszenierung wird das einstige Kunstmärchen zum aufwühlenden Opernkrimi. Die drei jungen Sänger, Tim Stekkelies, Aviva Piniane und Amani Robinson (in einer Mehrfachrolle), überzeugen sowohl stimmlich als auch mit bemerkenswertem schauspielerischen Talent. Besonders in der Kammeroper, die ja eine beispiellose Nähe zu den Protagonisten ermöglicht, sind solch mimisch begabte Sänger Gold wert. Amani Robinson sieht in all ihren Rollen zudem nicht nur umwerfend aus, sondern beeindruckt ebenso mit starker Stimme und einer enormen Präsenz. Durch die bemerkenswert deutliche Artikulation von Bariton Tim Stekkelies kommt überdies der großartige, zu Grunde liegende Text voll zur Geltung.
Judith Weirs Musik, die auf Elemente der schottischen Volksmusik zurückgreift, wird von dem zehnköpfigen Kammermusik-Ensemble unter Leitung von Bettina Rohrbeck interpretiert. Streckenweise gestaltet sich das Zuhören etwas erschöpfend, ob der teilweise recht eigenwilligen Melodieführung der Komponistin. Versöhnlich stimmen jedoch die wahnsinnig schönen Kostüme von Julia Scholz und bezauberne Regieeinfälle, wie die transparenten Luftballons, die Eckbert von vier schwarzen, unheimliche Gestalten - den Schatten der Vergangenheit - umgebunden werden und die bildlich zeigen, wie Eckbert den Boden unter den Füßen verliert und mit ihren Schnüren noch einmal das Marionetten-Motiv aufgreifen.
"Der blonden Eckbert" ist eine aufwühlende Inszenierung. Während der knapp 60-minütigen Aufführung werden die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit so sehr verwischt, dass das Premieren-Publikum am Ende durchaus angetan aber ein wenig ratlos zurückblieb. Die bezeichnende Aussage einer Zuschauerin am Ausgang: "Schön, sehr schön. Aber auch sehr - anders."
Nächste Termine: 7. Dezember um 21 Uhr und 18. Januar um 20 Uhr in der Oper Kiel. Karten: Telefon 0431 – 90 19 01 oder im Internet unter www.theater-kiel.de.
Franziska Falkenberg
Foto: struck-foto