Dass Hamburg eine Theater-Stadt ist, deren Häuser regelmäßig mit ausgezeichneten Stücken für Furore in der Theaterwelt sorgen, ist gemeinhin bekannt. Dass aber Theater solchen Formats auch in Kiel stattfinden kann, beweist die studentische Theatergruppe "tomwaitsforgodot" mit ihrer Inszenierung von Lessings "Emilia Galotti". Am Freitag feierte das bürgerliche Trauerspiel Premiere im Sechseckbau auf dem Campus.
"Emilia Galotti", uraufgeführt 1772, ist ein echter Dauerbrenner in der Theaterlandschaft.
Kaum eine Bühne, die sich des Stückes nicht irgendwann einmal, irgendwie angenommen hätte. Die Rolle von Titelheldin Emilia einfach zu streichen, kann aber durchaus als kühner Zug bezeichnet werden. Das Regie-Duo Hannes Kulpe und Franziska Thoms wagte den Schritt dennoch.
Und schon dieser Impuls ließ erahnen: "Emilia Galotti" im Sechseckbau würde keine konventionelle Interpretation werden. Kulpe und Thoms inszenieren den Stoff statt dessen recht experimentell, kreativ und dabei sehr intelligent. Zugegeben, der Einfall, bewegte Bilder per Handkamera direkt von der Bühne mittels Beamer an eine Wand zu projizieren, ist nicht neu und scheint momentan einfach en vouge zu sein. Trotzdem ist die Idee, da feinsinnig und nur punktuell eingesetzt, eine der Stärken der Inszenierung. An entscheidenden Stellen ersetzt die Kameralinse Emilia, die so im doppelten Wortsinn zur Projektionsfläche ihrer Mitspieler wird.
Einer davon ist der Prinz, gekonnt dargestellt von Jan Waßmuth: hedonistisch, theatralisch, unbesonnen und seit der ersten Begegnung unsterblich verschossen in Emilia. Sein Credo: Haben! Als er erfährt, dass die Angebetete mit dem Grafen Appiani vermählt werden soll, bricht für ihn eine Welt zusammen. Sein intriganter Kammerherr Marchese Marinelli wittert augenblicklich seine Chance und schmiedet einen hinterhältigen Plan, der Emilias bevorstehende Heirat mit dem Grafen verhindern soll.
Johannes Hertel erinnert in der Rolle des Marinelli, einem weißgeschminkten, androgynen Fädenzieher, an Gustav Gründgens' Mephisto im Hamburger "Faust I" von 1957. Gleichermaßen hinreißend wie abstoßend bietet er ein faszinierendes und unterhaltsames Spiel. Besser hätte die Rolle nicht besetzt werden können.
Doch das gesamte Ensemble ist ein Glücksgriff: Graf Appiani, gespielt von Richard Franke, scheint zwar brav und blass. Dass er auch anders kann, zeigt Franke in einem kurzen, aber kräftigen Gefühlsausbruch im zweiten Aufzug. Auch Friederike Seide als Orsina überzeugt. Einen starken Eindruck hinterlässt zudem Marten Maack in der Rolle von Emilias Vater Odoardo. Seine Stimmgewalt und Ausdrucksstärke sind wirklich außergewöhnlich und garantieren pure Gänsehaut in der Schlusszene. Höhepunkt ist allerdings Manja Kürschners bewegende Darstellung der Claudia (Emilias Mutter): Körper, Stimme, Blick - alles stimmt. Ihr Spiel ist zurückgenommen und doch so intensiv, dass es einen packt und nicht mehr loslässt. Dem starken Ensemble ist es zu verdanken, dass die Abwesenheit Emilias tatsächlich kaum auffällt.
Die zu Beginn noch mit Bergen von Umzugskartons vollgestellte Bühne, leert sich im Verlauf des Stückes kaum merklich. Am Ende bleiben eine bisschen zerrissene Pappe, ein paar traurige Häufchen verstreuten Konfettis und ein Vater, der eine unfassbare Tat begangen hat. Die Kamera ist aus, das Licht wird gelöscht. Nur langsam löst sich der Applaus aus der Stille, tost daraufhin aber umso lauter.
Hannes Kulpe und Franziska Thoms haben mit ihrer Inszenierung Mut bewiesen und es hat sich gelohnt. Für das Ensemble und für das Stück, in erster Linie aber für das Publikum. Warum also nach Hamburg schweifen, wenn tolles Theater so nah liegt?
Sechseckbau des Studentenwerks, Westring 385. Weitere Aufführungen: 22., 23., 25. und 27. November, 20 Uhr. Vorverkauf in Zimmer 2 des Studentenhauses sowie in der Mensa II.
Franziska Falkenberg
Foto: Timm Engels