Im Sommer 2010 stand er noch für den gerade in die Bundesliga aufgestiegenen FC St. Pauli im Tor. 18 bewegende Monate später steht nicht mehr nur der Fußball im Leben des Patrik Borger, wie der 32-Jährige im KIELerLEBEN-Interview verriet.KIELerLEBEN: Patrik, du hast deine Karriere als Profifußballer in diesem Sommer offiziell für beendet erklärt. Wie ist dir der Sprung zurück ins „normale“ Leben gelungen?
Patrik Borger: Ohne Probleme, denn ich bin wieder da angekommen, wo ich vor dem Abenteuer Profifußball mal angefangen habe. Nach meiner Schulzeit habe ich eine Ausbildung absolviert, normal gearbeitet und nebenbei in Kieler Vereinen Fußball gespielt. Dann bin ich eher durch Zufall Profifußballer beim FC St. Pauli geworden, als ich vom zweiten Torwart der zweiten Mannschaft zur „Nummer eins“ der ersten Mannschaft wurde. Es war klar, dass ich nicht ewig damit Geld verdienen kann. Daher bin ich froh, dass ich jetzt hier in Kiel wieder jeden Morgen normal zur Arbeit gehen kann.
Du bist jetzt 32 Jahre alt, hätten es nicht noch zwei, drei Jahre sein können? Als Fußballer soll man doch ganz gut verdienen …
Genau vor dieser Entscheidung stand ich im Sommer 2010. St. Pauli hatte nach dem Bundesligaaufstieg meinen Vertrag nicht verlängert, und es kam die Frage, ob ich noch ein paar Jahre in der 3. oder 4. Liga für gutes, aber nicht überragendes Geld spiele. Meine Frau und ich haben gemeinsam überlegt und kamen zum Schluss, dass wir beide Kiel sehr verbunden sind und eigentlich nicht für zwei oder drei Jahre weg wollen.
Lagen denn Angebote vor?
Klar. Aus besagten Ligen und auch total exotische Sachen wie 2. Liga in Russland. Aber die Umstände passten einfach nicht.
Welches Angebot hätte es denn sein sollen?
Dritter Torwart beim FC Bayern München (lacht). Nein, wäre ein Angebot aus der 3. oder 4. Liga von einem Verein in der Nähe gekommen, hätte ich ernsthaft noch einmal überlegt. Aber da unsere Tochter auf dem Weg war, war klar, dass wir in Kiel wohnen bleiben werden.
Für die du jetzt ja auch mehr Zeit hast. Als Fußballer warst du bestimmt viel mehr unterwegs …
Das würde ich nicht sagen. Es hat sich alles etwas verschoben. Früher war ich abends und auch mal tagsüber zu Hause, dafür am Wochenende viel unterwegs. Jetzt arbeite ich unter der Woche tagsüber bei „Schild Flaggen“ in Altenholz, habe dreimal die Woche abends Training beim TSV Schilksee und kann sie dafür viel am Wochenende sehen.
War dein Abschied vom Profifußball auch eine Entscheidung für die Familie?
Auf jeden Fall. Als ich von Sommer 2010 bis diesen Juli vereinslos war, hatte ich ja obendrein noch eine schwere Knieverletzung. In der Zeit habe ich mit meiner Tochter natürlich sehr viel Zeit verbracht und konnte ihre Entwicklung fast permanent mitverfolgen. Mittlerweile ist sie anderthalb und entwickelt gerade ihren eigenen Willen. Langsam wird’s spannend.
Wohl eine andere Art von Spannung als im Fußball. An was erinnerst du dich besonders gerne zurück?
Es war schon überragend, nach den beiden Aufstiegen den Balkon des „Schmidts Tivoli“ vor zigtausenden Pauli-Fans auf dem Kiez zu betreten und gefeiert zu werden. 2010 kamen immerhin 80.000 Menschen.
Und dann war da noch das legendäre Pokalspiel im Jahr 2006 gegen Bayern München, in dem du erst 104 Minuten lang überragend gehalten hast und dir dann selbst den Ball mit der Hand zum entscheidenden 1:2 ins Tor gelegt hast …
Tja, das war ein verrückter Abend, den ich nie vergessen werde. Es war ein absoluter Traum, gegen den FC Bayern zu spielen. Erst war ich nach meinem Eigentor total platt und konnte mit keinem reden, danach haben mir viele zu meiner Leistung gratuliert und aufbauende Worte gefunden. Mein Handy stand den ganzen Abend nicht still.
Also, positiv oder negativ in Erinnerung?
Es war ein Weltklasse-Abend – trotz Eigentor. Heute bin ich eigentlich nur noch sauer, dass Olli Kahn nicht gespielt hat, da er nach einer Roten Karte gesperrt war. Aber auch ohne den Torwart-Titan war das Spiel einer der Höhepunkte meiner Karriere.
Wirst du heute noch auf der Straße darauf angesprochen?
Nein, ich wurde und werde ohnehin selten auf der Straße angesprochen. Bei meinen 1,97 Meter trauen sich das wohl nicht so viele (lacht). Und wenn ergaben sich daraus sehr nette Gespräche.
Ein Beispiel bitte!
Dann nehme ich eines der anderen Art, das ich heute noch verrückt finde: Bei einem Festival auf der Reeperbahn stand ein paar Meter entfernt Bela B. von den Ärzten, die ich schon immer richtig geil fand. Ich überlegte die ganze Zeit, ob ich ihn ansprechen soll. Auf einmal dreht er sich um, sieht mich, streckt mir die Hand entgegen und meint: „Boooorger! Mann, gutes Spiel letztens!“ Ich habe nur gedacht: Augenblick mal! Eigentlich bin ich doch der, der ihn bewundert?! Wir haben dann noch eine ganze Weile geschnackt und auch immer mal wieder gesprochen, wenn wir uns getroffen haben.
Fehlen dir solche Momente?
Nein, wie schon gesagt: Ich bin in kein Loch nach dem Karriere-Ende gefallen, wie es manch anderem Fußballer passiert. Im Gegenteil: Ich bin sehr dankbar, dass ich einem normalen Beruf in einem geordneten Leben nachgehen kann. Das ist für einen Kicker wie mich, der kein Neuer oder Kahn war und Millionen verdient hat, nicht normal.
Hast du denn nie die Sorge gehabt, du könntest in solch ein mentales Loch fallen?
Ich habe in meiner aktiven Profikarriere bei Pauli Mitspieler gehabt, die alkoholabhängig, spielsüchtig und depressiv waren oder sich umbringen wollten. Schon während meiner Zeit als Fußballer wusste ich, welche Gefahren der Profisport mit sich bringt und habe gelernt, damit umzugehen. Insofern bin ich auch froh, dass ich heute wieder entspannt Zeitung lesen kann, ohne die Befürchtung, dass ein Reporter wieder zum Rundumschlag über mich ausgeholt hat.
Letzte Frage zu einem ganz anderen Thema: Im Januar ist wieder Budenzauber in der Sparkassen-Arena. Wirst du hingehen?
Ich denke ja. Ich war die letzten Jahre in der Halle, und es ist wie eine Art Klassentreffen, bei dem ich viele ehemalige Mitspieler wiedersehen kann. Viel lieber würde ich allerdings noch einmal selbst mitspielen, da ich noch ein kleines Duell mit meinem früheren Rivalen Henrik Preuß offen habe. Er ist wie ich zweimal zum besten Torwart des Turniers ausgezeichnet worden, und irgendwie muss ich da noch einen draufsetzen. Vielleicht klappt’s ja noch mal mit dem TSV Schilksse.
Patrik Borger
Geboren am 19. Januar 1979 in Kiel, spielte Patrik Borger sich Jahr für Jahr bei Vereinen wie dem Suchsdorfer SV, TSV Altenholz und VfR Neumünster Liga um Liga nach oben. Bis er 2006 eigentlich als Torwart vom FC St. Pauli II zum Stammtorwart der ersten Mannschaft in der Regionalliga Nord avancierte, 17 Spiele ohne Gegentor blieb und maßgeblichen Anteil am Aufstieg in die 2. Bundesliga hatte. 2010 verließ er den Kiez-Klub. Seit Juli 2011 spielt er für den Verbandsligisten TSV Schilksee und übernahm kurze Zeit später auch den Posten des Trainers gemeinsam mit Duke Williams. Borger wohnt gemeinsam mit seiner Frau Yvonne und der gemeinsamen Tochter Lara-Marlene in Kronshagen.