Am Freitag, den 24. September, erscheint ihr neues Album „Nahaufnahme“. Pünktlich zur Veröffentlichung stattete Christina Stürmer, Österreichs erfolgreichster Exportschlager seit Falco, Kiel und dem Radiosender R.SH einen Besuch ab. Wie die Produktion des neues Albums ablief, dass die erste Single „Wir leben den Moment“ auch eine Lebensmaxime von ihr beinhaltet und wie sie in Österreich lebt, erzählte die 28-Jährige kielerleben.de.
KIELerLEBEN: Am kommenden Freitag erscheint dein neues, bereits fünftes Album „Nahaufnahme“. Ist die Anspannung noch genauso groß wie vor der Veröffentlichung des ersten Albums?
Christina Stürmer: Die Anspannung vor dem ersten Verkaufstag ist immer gleich groß – egal, wie viele Alben ich schon veröffentlicht habe. Ich habe jetzt wochenlang Promo gemacht, Interviews gegeben, war im Fernsehen und Radio, hab' gemacht und getan – habe aber noch nichts Zählbares. Ich weiß nicht, ob die Sendungen gehört werden oder ob's die Leute interessiert. Und durch den Verkauf bekommen wir diese bislang fehlende Gewissheit.
Deine Alben waren in Österreich immer auf Platz eins, und im deutschsprachigen Raum liefen sie auch gut. Wie groß ist der Erfolgsdruck in Bezug aufs neue Album?
Ich finde, Druck macht man sich immer selbst. Natürlich hat eine Plattenfirma Erwartungen, dass die Verkaufszahlen von Album zu Album besser werden. Meine letzten beiden Alben sind nicht so gut gelaufen wie erhofft. Aber ich war bislang noch nie vor dem großen, schwarzen Loch und habe gedacht, jetzt hat es alles keinen Sinn mehr, oder hatte das Gefühl, die Leute wollen mich nicht mehr hören. Mit dem neuen Album scheinen alle, die es bislang kennen, sehr zufrieden zu sein: meine Band, die Plattenfirma und natürlich ich. Wenn also keiner das Album kauft, kann ich mir keinen Vorwurf machen. Außer, dass ich es anders hätte machen können, aber dann hätte es mir vielleicht nicht gefallen.
Die Vorab-Kritiken des Albums besagen, dass es ein typisches „Christina-Stürmer-Album“ ist …
Ja, aber das ist doch gut, oder?
Kommt darauf an, wie es deine Fans oder die, die es noch werden wollen, gerne hätten. Wenn keine Weiterentwicklung erkennbar ist, wird es oft langweilig …
Ich finde, dass in meinem Album eine Entwicklung erkennbar ist. Ist ja auch natürlich, da sich jeder Mensch im Leben automatisch weiterentwickelt. Ich bin aber nicht der Meinung, dass man sich von Album zu Album neu erfinden muss. Ich mache Pop-Rock. Klar, lasse ich auch mal ein bisschen Elektro oder andere Elemente in einen Song einfließen, weil es mir gerade zu der Zeit gefällt. Aber ich mache nicht auf Zwang heute Hip-Hop und morgen Sakralpunk. AC/DC gibt es seit Jahren, und die machen eigentlich immer das Gleiche und sind eine riesige Band. Ich mag es, wenn die Leute bei meinen Songs sagen: „Hey, das ist ja die Stürmer.“
Ich würde drei Monate für das Schreiben eines Songs brauchen.
Wie ist die Produktion der „Nahaufnahme“ abgelaufen?
Wir haben im November 2009 angefangen, an den Songs zu arbeiten. Zunächst haben wir uns mit einem Songwriter-Team von etwa zehn Leuten zusammengesetzt, damit die mich kennenlernen. Dann haben wir uns mit ihnen und ihren Vorschlägen auseinandergesetzt. Mein Freund Oliver hat mitgeschrieben, da er auch in der Band ist und mich am besten kennt. Im Mai hatten wir alle Songs zusammen.
Hast Du keinen Song selbst geschrieben?
Nein, ich lasse mir da lieber helfen und überlasse es den Songwritern, da sie das Songwriting professionell machen. Ich bin sehr selbstkritisch, möchte, dass jedes Wort stimmt und würde wahrscheinlich drei Monate für das Schreiben eines Songs brauchen. So wie es jetzt läuft, sage ich, was ich über Entwürfe des Teams denke, und die Schreiber ändern es nach meinen Vorstellungen. Wir arbeiten ja auch unter Zeitdruck. Die Plattenfirma sagt, es wäre gut, wenn im Herbst ein Album erscheint, und wir müssen sehen, dass das Album im Sommer eingespielt ist. Da ist bei mir immer schon Alarm, und ich wäre unfähig, Songs zu schreiben.
Läuft so eine Zusammenarbeit sehr übereinstimmend ab oder gab's bei dem ein oder anderen Song doch Schwierigkeiten?
Bei allen Liedern gibt's Passagen, an denen wir lange herumprobiert haben. Bei „Wir leben den Moment“ haben wir irre lange am C-Teil gesessen (Anm. der Redaktion: Brücke zwischen Refrain und Strophe. Konkret im Lied ab: „Wir laufen durch die Straßen in einer bewegten Welt …“). Da hab ich den Songwritern mehrmals gesagt, dass ich diesen Teil nicht schön finde. Auch nach vier oder fünf Vorschlägen hat es mir nicht gefallen, und dann hat Oliver den C-Teil fertig geschrieben, und es passte.
Wenn ich mit jemandem singe, muss ich mit dieser Person auch menschlich können.
Heute ist es modern, dass sich Musiker untereinander featuren. Dich hat man noch nie in einem „Duett“ gehört. Woran liegt's?
Ich werde natürlich häufig nach einem Duett gefragt, und meine Plattenfirma sagt natürlich auch, mach' mal ein Duett, da hilft man sich gegenseitig, und das ist marketingtechnisch bestimmt eine gute Idee. Aber: Wenn ich mit jemandem singe, muss ich mit dieser Person auch menschlich können. Und ganz ehrlich: Mir fällt derzeit keiner von den großen Stars ein, wo ich sage: Den kenne ich, den mag ich, das passt zusammen. Im Gegenteil, wenn ich müsste, wären es kleinere Bands aus Österreich …
Aber diesen könntest du ja durchaus weiterhelfen, so viele musikalische „Exportschlager“ gibt es aus Österreich ja nicht …
Wir wollten auch beim letzten Album mit der Band „Herbstrock“ etwas machen, aber das ging nicht, da sich unsere beiden Plattenfirmen nicht einigen konnten. Aber dafür haben wir ein paar Mal zusammen auf Tour live performt.
Würdest Du denn gerne einen großen Star, wie du sagst, kennenlernen?
Wenn ich Musik gut finde, habe ich mit dem Kennenlernen so meine Schwierigkeiten. Ich habe die Musik einer kleineren Band mal megamäßig geliebt – alle Alben gehabt, rauf und runter gehört. Dann habe ich sie auf einem Festival kennengelernt, und die waren so komisch, dass ich seitdem die Musik nicht mehr höre. Und das finde ich sehr traurig. Danach hatte ich beispielweise mal die Möglichkeit, Farin Urlaub, dessen Musik und Live-Auftritte ich auch sehr mag, backstage zu treffen, aber da habe ich gleich gesagt: Nein, ich will ihn nicht kennenlernen. Gerade nach einem Konzert, wenn er vielleicht kaputt ist oder einen schlechten Tag hat. Nein, es ist besser, den Künstler nicht zu kennen, und dafür seine Musik zu kaufen und zu hören.
Also kennst du kaum Künstlerkollegen?
Na schon, aber nehmen wir zum Beispiel die Band Juli, da kenne ich den Simon Triebel an der Gitarre gut. Aber ich weiß nicht, wie der Rest so tickt.
Da hab ich gemerkt, ich sollte mal die Notbremse ziehen …
Zurück zum Album: Die Songs handeln sehr viel von Zeit und Momenten des Lebens. Denkst du viel über das Leben nach?
Wir leben in einer schnelllebigen Welt. Ich bin viel unterwegs, treffe viele Menschen, und die Zeit vergeht ohne, dass man es merkt. Wir leben viel zu wenig den Moment, genießen zu wenig das Jetzt. Aber so blöd es klingt, es kann morgen etwas passieren, das dein Leben komplett verändert.
Sprichst du jetzt von einer kürzlichen Erfahrung aus deinem Leben?
Na ja, das ist wohl schon jedem mal passiert. Bei mir ist vor sieben Jahren meine Oma sehr plötzlich verstorben – niemand hatte damit gerechnet. Danach habe ich mir Vorwürfe gemacht, warum ich mir nicht mehr Zeit für sie genommen habe – nach der Arbeit, nur auf einen Kaffee. Sie wohnte nur zehn Autominuten entfernt. Das sind Kleinigkeiten, die man immer wieder aufschiebt, die man dann auf einmal nicht mehr nachholen kann. Ich glaube, wir müssen das Leben bewusster genießen.
Lebst du denn auch nach dieser Maxime?
Ich versuche häufiger, auf mich zu schauen. Ich hab bereits vor fünf Jahren nach einer langen Tournee gemerkt, dass ich keine Maschine bin. Ich war reizbar, immer ein bisserl krank, und es ist irgendwie lange Zeit nicht weggegangen. Da hab ich gemerkt, ich sollte mal die Notbremse ziehen und eine Auszeit nehmen, damit ich mich wieder mit mehr Kraft und Freude meinem Beruf widmen kann. Es bringt weder mir noch den Fans noch euch Journalisten etwas, wenn ich genervt bin.
Wie hast du die Notbremse gezogen?
Ich habe in Wien gewohnt und gemerkt, dass die Stadt nicht so wirklich meins ist. Da ist ständig so ein Lärmpegel. Und da haben mein Freund und ich uns vor knapp vier Jahren ein Haus in einem 325-Seelen-Dorf 45 Minuten entfernt von Wien gekauft.
Ich brauche den Gegensatz Familienleben und Karriere.
Ist es nicht schwierig für einen Menschen mit deiner Popularität, auf einem Dorf in Österreich zu wohnen?
Es fahren schon ständig Autos an unserem Haus vorbei und halten an, so nach dem Motto „Oh, das ist das Haus von der Stürmer, das muss ich mir jetzt anschauen“. Und einmal stand bei uns ein älteres Ehepaar mit den Enkelkindern im Garten, worauf mein Freund diese lauthals gebeten hat, wieder auf die Straße zu gehen. Die meinten darauf, dass ihre Enkel große Fans von mir wären, mich gerne mal gesehen hätten, aber kurz zuvor, als sie an der Tür geklingelt hätten, hätte niemand aufgemacht. Wie das genau zu Ende gegangen ist, weiß ich gar nicht genau.
Habt ihr seitdem einen Wachhund?
Nein. Aber eigentlich will ich schon, seitdem ich ein kleines Kind gewesen bin, einen Hund haben, genauer gesagt einen Bernersennenhund, aber der nimmt auch viel Zeit in Anspruch, die wir nicht haben. Ich glaube, bei uns wäre ein Hund arm dran, da er 20 verschiedene Herrchen hätte und überhaupt nicht wissen würde, welche Regeln es gibt und so weiter. Aber: Dafür muss dann der Nachbarshund ab und zu mal herhalten.
Eigenes Haus, glückliche Beziehung, Hund – hört sich alles schon so nach einem Familienleben nach der Karriere an …
Natürlich, aber man kann ja durchaus beides gleichzeitig haben. Familienleben und Karriere. Ich brauche diesen Gegensatz auch, um von dem ganzen Stress – Studio, Reisen, Tournee – herunterzukommen und die Batterie wieder aufzuladen. Ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Leben so führen kann, da ich seitdem wieder lockerer und entspannter bin.
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Christina Stürmer
2003 ging der Stürmer-Stern auf: Sie erreichte mit dem Sportfreunde-Stiller-Lied „Ein Kompliment“ in der ORF-Castingshow „Starmania“ den zweiten Platz. Mit dem anschließend veröffentlichten Debütalbum „Freier Fall“ eroberte sie die Herzen der Österreicher im Sturm. Es folgte 2005 mit „Schwarzweiss“ der Durchbruch auf dem deutschen Markt. Die Alben „Lebe lauter“ (2006), „Lautlos“ (2008) und „In dieser Stadt“ (2009) setzten ihren Erfolg fort und etablierten Christina Stürmer mit mehr als 1,5 Millionen verkauften Tonträgern als feste Größe im deutschsprachigen Musikgeschäft. Darüber hinaus erhielt sie diverse renommierte Auszeichnungen wie den deutschen „Echo“ oder den österreichischen „Amadeus Award“.
Christina Stürmer spielt am 10. Dezember in der Markthalle Hamburg. Karten gibt’s
hier.