Pech im Spiel, Glück in der Liebe? So einfach ist es für Herrmann weiß Gott nicht. Zu spielen traut er sich nämlich nicht, stattdessen fühlt er sich ständig beobachtet, verspottet und ausgestoßen. Als sich dann auch noch seine heimliche Liebe, die adelige Lisa, mit dem Fürsten Jeletzki verlobt, verzweifelt Hermann vollends.
Lisas Großmutter jedoch, von allen nur "Pique Dame" genannt, kennt angeblich eine magische Kartenkombination, die beim Glücksspiel todsicher gewinnt.
Als Hermann davon erfährt, schwört er, entweder der Alten ihr Geheimnis zu entreißen und Lisa für sich zu gewinnen oder zu sterben.
Nach der Sommerpause wurde Tschaikowskys 1890 in St. Petersburg uraufgeführte Oper "Pique Dame" an der Oper Kiel nun wieder aufgenommen. Regisseurin Sandra Leupold inszeniert "Pique Dame" als reduziertes Psychogramm eines hin- und hergerissenen Außenseiters. Auf der einen Seite die Liebe zu Lisa, auf der anderen die Faszination der geheimen "drei Karten". Sukzessiv glaubt sich Hermann dem Wahnsinn nahe. Bühnenbild und Lichtführung illustrieren seinen inneren Kampf gekonnt.
Wie Marionetten im System
Andreas Walkows' Bühne, eine karge, nach hinten ansteigende Rampe, bietet den Protagonisten viel Raum, ihre fragilen Beziehungen zueinander, ihre Motive und Gefühle zu entfalten. Wie Marionetten bewegen sich Solisten und Chor auf dieser Rampe. Ganz langsam, wie von Geisterhand geführt. Jeder Einzelne ein Gefangener im System, das keine anderen Bewegungen zulässt. Wenn die Protagonisten hinter der Rampe auftauchen, scheinen sie aus dem Nichts empor zu schweben; besonders eindrucksvoll, wenn gleich der ganze Chor sich wie eine Welle aus der Dunkelheit schält, um dann tosend über Hermann hereinzubrechen. Ob die Gestalten nämlich seinem Wahn oder der Wirklichkeit entspringen, bleibt offen.
Wahnsinn, Sanftheit und ein unschlagbar starker Chor
Aus Ivar Gilhuus Augen sprüht der Wahnsinn, aus seinem rauhen Tenor spricht Hermanns unermessliche Qual. Dass die dumpfen und gequälten Töne aber durchaus einer klaren Strahlkraft weichen können, beweist Gilhuus eindrucksvoll im letzten Bild, als sich Hermann – nun im Besitz der geheimen Kartenkombination – an den Spieltisch traut und alles auf eine Karte setzt.
In der Rolle des Fürsten Jeletzki sprang vergangenen Samstagabend Mirko Janiska für den erkrankten Tomohiro Takada ein und überzeugte mit bezaubernd sanften Partien, aus denen große Emotionen sprachen, ohne rührselig zu wirken.
Die Rolle der verzweifelten Lisa, die in dem Augenblick der Hingabe erkennen muss, dass sie Hermann an die Spielsucht verloren hat, bringt Ekaterina Romanova schauspielerisch stark auf die Bühne. Besonders in den Momenten der totalen Hilflosigkeit beeindruckt Romanova. Stimmlich jedoch fehlen der jungen Sopranistin noch die Facetten und eine Klangvielfalt, die auf der so kargen Bühne gegen das Orchester bestehen kann.
Unschlagbar stark zeigen sich hingegen der Chor und die gut besetzten Nebenpartien, die einen Großteil zum Gelingen des Abends beitragen. Die Kieler Philharmoniker, unter der musikalischen Leitung von Johannes Willig, geben sich Tschaikowsky spürbar hin. Mit viel Gefühl spielen sie mal sanft und einfühlsam, mal aggressiv und tosend, immer mitreißend.
Vielleicht lag es am ungemütlichen Herbststurm, der Samstagabend über Kiel fegte, dass einige Plätze im Opernsaal leer blieben. Dabei passt Tschaikowsky doch so hervorragend in diese Jahreszeit. Wer also für ein paar Momente aus der Kieler Kälte flüchten möchte, dem sei "Pique Dame" sprichwörtlich wärmstens ans Herz gelegt.
Nächste Termine: 14. und 23. Oktober um 20 Uhr in der Oper Kiel. Karten: Telefon 0431 – 90 19 01 oder im Internet unter www.theater-kiel.de.
Franziska Falkenberg
Foto: Landeshauptstadt Kiel / Sven Meier