Ob Krabben fischen, Wasserballett oder Feuer spucken – Redakteur Thore Albertsen tut das, was Sie sich wünschen. Dieses Mal versucht er sein Glück beim Voltigieren.
Wie bin ich hier bloß rein- oder besser gesagt raufgeraten? Freihändig stehe ich auf Knut, einem schwarzen dänischen Warmblut-Hengst. Er läuft, getrieben von Voltigier-Trainerin Franca Reinfeld, mit schnellen Bewegungen im Kreis. Fest konzentriert versuche ich im Stand zu bleiben, ohne gleich wieder runterzufallen. Nach zehn Sekunden ist es dann vorbei. Knut wird langsamer, ich steige ab und bin wieder auf sicherem Boden. Vollkommen außer Atem, aber glücklich gehe ich an den Rand der schwach beleuchteten, großen, mit Sand ausgelegten Reithalle des Kieler Renn- und Reitervereins (KRRV) und schaue zu, wie Knut abgschnallt wird.
Es ist Samstag und mein erstes Mal: Zwar saß ich schon mal auf einem Pferd, aber darauf zu turnen, ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Vorab wurde mir gesagt, ich solle Sportsachen mitbringen: Also stehe ich um 17 Uhr in grauer Jogginghose, schwarzem Longshirt und grünen Turnschuhen auf dem weitläufigen und etwas matschigen Gelände in der Nähe der Unischwimmhalle und suche nach der Voltigierhalle des KRRV. Eine dunkelblonde Frau, circa Anfang 20, kommt lächelnd auf mich zu: „Du bist also unser Voltigiernachwuchs“, sagt sie. So weiß ich, dass es sich um die Trainerin Franca handeln muss. Zusammen gehen wir in die große Reithalle, in der das Trainingsteam schon auf uns wartet. Die sieben Mädchen von sechs bis 21 Jahren – alle in Leggins und Pullover – sind gerade beim Aufwärmtraining. Gut gelaunt laufen die einen in der Halle ihre Runden – fast wie beim Fußball. Die anderen stehen am Rand und heben ihre Beine so gerade hoch, dass sie nahezu ein Spagat in der Luft machen. Das ist Dehnen in der ausgeprägtesten Form, die ich bis jetzt kennengelernt habe.
Freundlich begrüßen mich die Voltigiererinnen, und ich werde gleich ins Training mit eingebunden: „Also erst mal brauchst du andere Schuhe, du kannst ja nicht mit Turnschuhen auf den Rücken des armen Pferdes steigen“, erklärt mir die 19-jährige Verena Chemnitz. Sie sucht mir schwarze Schläppchen heraus, die mich sehr stark an Ballerinas erinnern. Das blonde Mädchen voltigiert bereits, seitdem sie sechs Jahre alt ist. „Meine Mutter ist geritten, und so bin ich zum Voltigieren gekommen. Ich bin bei diesem Sport geblieben und habe hier viel Spaß“, sagt Verena strahlend. Wir beginnen, uns mit den anderen zu dehnen. Bald wird mir klar, dass ich im Fitnessstudio zwar sämtliche Muskeln trainiert habe – gedehnt wurde dabei aber gar nichts. Und so muss ich sehr schlucken, als die Mädchen mit gestreckten Beinen auf dem Boden sitzend den ganzen Fuß mit ihren Händen umfassen können. Na ja, immerhin schaffe ich es, meine Hände knapp unter meine Knie zu ziehen. Sonst wird der Schmerz einfach zu groß.
Stretchen ist nicht meine Stärke
Dann geht es los. Franca steht in der Mitte und hält in der Hand eine lange rosa Leine, die mit dem Zaumzeug des großen Pferdes verbunden ist. Der schwarze Hengst läuft brav im Kreis, schnaubt ab und zu und gehorcht strikt den Anweisungen der 24-Jährigen. Abwechselnd springen die Mädchen jetzt auf seinen Rücken, stehen freihändig, allein oder zu zweit, strecken ein Bein gerade Richtung Hallendecke oder machen Spagat. Die außergewöhnlichsten Positionen können sie auf dem Pferd einnehmen. Bei den jungen Turnerinnen sieht das alles kinderleicht aus.
„Lass uns erst mal am Holzpferd üben“, sagt Verena, während ich gebannt dem Treiben auf dem schwarzen Hengst zuschaue. Sie zeigt auf einen braunen Holzbock, der mich an frühe Sport-Turnstunden in nach Teenager-Schweiß riechenden Turnhallen zurückdenken lässt. Mit Verenas Hilfe schaffe ich den Aufstieg. Meine erste Aufgabe: Ich darf auf dem Holzpferd knien und den Abstieg üben. Möglichst elegant versuche ich, die Übungen durchzuführen, damit mich die Mädchen für keinen kompletten Bewegungslegastheniker halten.
Franca ruft mich. Ich soll mich am echten Pferd versuchen. Zunächst darf ich Knut streicheln. Er guckt mich mit seinen schönen braunen Augen an und schnaubt einmal, so als würde er mir sagen wollen, dass wir zusammen alles schaffen können. Zumindest bilde ich mir das gern ein. Dann steige ich wieder mit Verenas Hilfe auf, und die dunkelblonde Trainerin lässt Knut traben. „Jetzt lass die Arme los. Ich weiß, dass du das kannst“, ruft Franca mir enthusiastisch zu. In ihrer Stimme liegt etwas Überzeugendes, also tue ich, wie mir geheißen wurde. Ich sitze wie in der bekannten „Ich bin der König der Welt“-Szene aus dem Filmhit „Titanic“ mit ausgebreiteten Armen auf dem Pferd und bin mir sicher, dass das auf dem Schiff nicht hätte schöner sein können.
Mit Verena Chemnit'z Hilfe stehe ich sogar im Galopp auf Knut
Das reicht für die erste Runde. Ich steige ab, gehe zu Franca, die BWL studiert. Ich lasse mir zeigen, wie sie das Pferd führt. Währenddessen üben die Mädchen ihre Gruppenkür und machen zu dritt eine Pyramide auf Knut. Dem elfjährigen Warmblut scheint das nichts auszumachen. „Voltigierpferde werden nach ihren ruhigen Eigenschaften ausgesucht und darauf trainiert, möglichst gleichmäßig zu laufen, ohne den Kopf hochzureißen. Knut macht das seit zwei Jahren und er ist wirklich gut dabei“, erklärt mir die 24-Jährige. Knut ist ihr Privatpferd. Reiten tut sie jedoch nicht auf ihm. „Ich kann gar nicht reiten“, gesteht mir Franca. „Irgendwie hat mich das neben dem Voltigieren nie gereizt.“ Ich bin sichtlich beeindruckt. Immerhin dachte ich, das wäre die Grundvoraussetzung des Voltigierens. Doch ich habe kaum Zeit, darüber nachzudenken. Denn das Training ist fast zu Ende, und ich bin an der Reihe. Dieses Mal bin ich fest entschlossen, freihändig auf dem fast zwei Meter großen Pferd zu stehen …