Es ist der 17. November – die heiße Produktionsphase steht an. Aber nicht nur wir sind mitten in der Fertigstellung der Dezember-Ausgabe, auch die Redaktion des Straßenmagazins HEMPELS feilt an den letzten Artikeln. Im Rahmen unserer neuen Serie „KIELerLEBEN hilft“ war Redakteurin Natalie Baumgärtner einen Tag lang dabei.
Mitten in Kiel, in der Schaßstraße, befindet sich die Redaktion des Straßenmagazins HEMPELS. Noch nicht beschildert, ist es schwer zu finden.
„Im zweiten Stock über dem Café ‚Zum Sofa‘ sitzen wir“, erklärt mir der leitende Redakteur Peter Brandhorst am Telefon, als wir mein Ein-Tages-Praktikum vereinbaren. Der gelernte Journalist und studierte Diplom-Sozialwirt begrüßt mich bald darauf in den Räumen von HEMPELS e.V.. Bei einem Rundgang wird schnell klar: HEMPELS ist nicht „nur“ das Straßenmagazin, das von insgesamt rund 100 Verkäufern in fast ganz Schleswig-Holstein an den Mann und die Frau gebracht wird.
Nicht „nur“ die Zeitung
Dahinter verbirgt sich mehr: Im Erdgeschoss wird eine Suppenküche betrieben, die den Mittagstisch für den Tagestreff der Evangelischen Stadtmission im Haus und weitere Kieler Mittagstische bereitet. Weiter hinten ist das Vereinscafé „Zum Sofa“, das tagsüber in gemeinsamer Regie mit der Stadt Kiel als Trinkraum fungiert, wo sich Suchtkranke in geschützter Umgebung aufhalten und selbst mitgebrachten niedrigprozentigen Alkohol konsumieren können – ein bundesweit einmaliges Projekt, das inzwischen auch in anderen deutschen Städten diskutiert wird. Später am Tag ist das Café Anlaufstelle für Verkäufer oder andere Besucher. Im zweiten Obergeschoss bietet der niedrigschwellige Sozialdienst ALG-II-Empfängern Unterstützung und Lösungen, um Krisensituationen begegnen zu können und die eigenen Möglichkeiten besser zu nutzen. Das Straßenmagazin HEMPELS und die mittlerweile vielfältigen Angebote des 1997 entstandenen Trägervereins HEMPELS e.V. bieten einen Ansatz, der anders und mehr ist als „nur“ professionelle Sozialarbeit.
Eines der ältesten Straßenmagazine
„Im Februar feiern wir den 14. Geburtstag von HEMPELS“, erzählt mir Peter Brandhorst, während er mir einige Aufgaben für meinen Redaktionsbesuch übergibt. Die ersten deutschen Straßenmagazine entstanden bis Mitte der 90er Jahre in Hamburg, Köln und München. 1996 wurde dann das schleswig-holsteinische Projekt HEMPELS geboren: Eine Gruppe Kieler Wohnungsloser nahm das Konzept des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt zum Anlass, selbst Initiative zu ergreifen und entwarfen gemeinsam mit Jürgen Knutzen und Jo Tein, damals Mitarbeiter der Evangelischen Stadtmission, die Grundlagen der Straßenzeitung HEMPELS. Sie kreierten ein Medium, das von denen und für die berichtet, die am gesellschaftlichen Rand stehen. „Zu Anfangszeiten wurde HEMPELS in Eigenregie der Benachteiligten produziert. Nach einigen Jahren entschied sich der Vorstand des Trägervereins aber dazu, das Magazin in professionelle Hände zu geben.“
HEMPELS ist professionell
Seit sechseinhalb Jahren ist Peter Brandhorst nun „verantwortlich im Sinne des Presserechts“, wie es im Fachjargon heißt. Er volontierte in jungen Jahren bei einer Tageszeitung, entschied sich danach zum Studium der Soziologie und war lange Jahre als freier Journalist für verschiedenste Medien unterwegs. Seit 2003 liegt sein Hauptaugenmerk nun auf HEMPELS. Zwei Wochen im Monat ist er in der Redaktion in Kiel anzutreffen, den Rest der Zeit lebt und arbeitet er in Hamburg. Doch alleine würde er die Arbeit natürlich nicht schaffen, „ohne Nadine hätten wir ein echtes Problem“, sagt Redakteur Brandhorst mit einem Lächeln und blickt nach links. Dort sitzt Nadine Grünewald. Seit zwölf Jahren arbeitet sie für HEMPELS und hat dort während dieser Zeit auch eine Ausbildung zur Mediengestalterin gemacht. Literaturwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte studiert Grünewald heute, ist HEMPELS aber auch weiterhin erhalten geblieben und kümmert sich jeden Monat um die gestalterische Umsetzung der Interviews, News, Kolumnen und Reportagen. 2005 bot der freie Fotograf Dieter Suhr seine Mitarbeit an und komplettierte das Kieler Redaktionsteam. Von außen steuern weitere Journalistinnen und Journalisten Texte und Fotos bei.
Struktur, Selbstständigkeit, Würde
So professionell die Arbeit bei HEMPELS in den letzten Jahren auch geworden ist, Betroffene haben immer noch die Möglichkeit, sich in der Redaktion einzubringen. Aufgrund der meist schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Wohnungslosen bringen sie sich zum größten Teil mit dem Verkauf des Magazins ein. Vor Supermärkten, in der Innenstadt und an anderen gutbesuchten Plätzen stehen die Verkäufer, gekennzeichnet mit einem HEMPELS-Ausweis, und bieten für 1,80 Euro das 32-Seiten-starke Heft an. 90 Cent gehen davon direkt an den Verkäufer. Im letzten Jahr haben sich laut Jahresbericht die rund 100 Verkäufer so circa 105.000 Euro erwirtschaftet. Das sind pro Kopf im Jahr durchschnittlich 1.100 beziehungsweise pro Monat 91,65 Euro Verdienst. „Das hört sich nach wenig Geld an, doch ist es für diese – meist langzeitarbeitslosen – Menschen ein erster Schritt in ein strukturiertes Leben. Sie erarbeiten ihr Geld auf ehrliche und selbstständige Weise, werden dafür gesellschaftlich anerkannt und erleben nach langer Zeit wieder Würde“, erklärt Redakteur Brandhorst die Idee hinter dem Straßenverkauf. Einige Verkäufer wurden sogar in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis übernommen, was nur wenige Straßenzeitungen in Deutschland bieten können.
Perspektiven schaffen
Doch nicht nur der Straßenverkauf hat Arbeitsplätze für die geschaffen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance haben: 16 Frauen und Männer wurden vom Trägerverein fest angestellt, vom 400-Euro-Job bis zur 38,5-Stunden-Woche, elf Langzeitarbeitslose übernehmen zudem als Ein-Euro-Jobber Aufgaben im Vereinscafé, in der Suppenküche oder im Büro. So langsam neigt sich nun mein Kurzpraktikum dem Ende zu, ich habe getippt, fertige Texte redigiert und den Machern hinter dem anderen stadtbekannten Magazin über die Schulter schauen können. Doch die „Heimatredaktion“ wartet auf meine schreibende Hand, und so mache ich mich voller Informationen, neuer Eindrücke und mit neuen Bekanntschaften im Gepäck auf den Rückweg. Eine Frage fällt mir dann aber doch noch ein: „Wie man HEMPELS unterstützen kann? Anzeigen schalten, Geld spenden, Fördermitglied werden und natürlich: das Magazin kaufen.“
Natalie Baumgärtner
Der Trägerverein HEMPELS e.V. wurde 1997 gegründet und sorgt sich um Wohnungslose und Menschen in Armut und vermittelt Perspektiven. Neben der Straßenzeitung HEMPELS, die 1996 erstmals erschien, bietet der Verein einen niederschwelligen Sozialdienst, eine Suppenküche und viele weitere soziale Projekte in Schleswig-Holstein.
www.hempels-sh.de