Das Gefühl von Vereinsamung und Isolation trifft uns gerade alle mit voller Wucht. Dagegen hilft nur das virtuelle Miteinander: Wir können Videocalls machen, haben Hangout-Meetings und nutzen die sozialen Netzwerke. Doch was ist mit älteren Menschen?
Genau das haben sich auch sieben junge Menschen gedacht, die im Rahmen von opencampus.sh die Initiative Brief.Freuden auf die Beine gestellt haben. Sie möchten verhindern, dass ältere Menschen unserer Gesellschaft vergessen werden oder sich vergessen fühlen. Die Besuche ihrer Lieben kann man vielleicht nicht ersetzen, aber man kann Abwechslung, Interesse und Leben in ihren Alltag bringen und so versuchen, der Einsamkeit entgegenzuwirken. Brief.Freuden setzt genau hier an. Wir haben mit Sarah gesprochen, einer der Initiatorinnen des Projekts und erfahren, wie man mitmachen kann und an wen die Briefe geschickt werden.
KIELerleben: Hej Sarah, was für eine tolle Idee! Wer sind eigentlich die Köpfe hinter dem Projekt?
Sarah: Wir sind ein paar motivierte Menschen, die alle bei opencampus.sh arbeiten, einer gemeinnützigen Organisation des gemeinnützigen Vereins Campus Business Box e.V. Mit einer Vielzahl von Initiativen bieten wir ein breites Spektrum an Bildungsmöglichkeiten - diese sind kostenlos und für jeden offen. Auch wir von Brief.Freuden arbeiten bei opencampus.sh in verschiedenen Projekten (wie SEEd, Waterkant Festival und Kosmos Store). Als die Corona-Krise dann auch in Deutschland begonnen hat, den Alltag immer mehr einzuschränken, haben wir uns im gesamten opencampus.sh – Team immer wieder zu online Meetings zusammengetan, um darüber zu sprechen, wie wir gerade jetzt unseren Beitrag zur Unterstützung der Gesellschaft leisten können. Gerade weil wir so ein multidisziplinäres Team sind, konnten wir dabei neben Brief.Freuden noch viele weitere kreative, spannende Initiativen auf die Beine stellen (z.B. kauf-lokal.sh).
Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Sarah: Jede*r von uns ist gerade von der sozialen Isolation betroffen und wir haben uns darüber ausgetauscht, wie wir das erleben und wie gut es ist, dass wir dem Gefühl der Einsamkeit in gewisser Weise digital entgegenwirken können. Da kam dann der Gedanke auf, dass diese Möglichkeit den meisten alten Menschen verwehrt bleibt, aber gerade diese auch sonst schon am meisten in Gefahr sind, zu vereinsamen. Viele von uns haben da natürlich an die eigenen Großeltern oder Eltern gedacht, aber es gibt auch viele ältere Menschen, die völlig ohne Familie/mit wenigen sozialen Kontakten leben und für die die wenigen Kontaktmöglichkeiten nun völlig wegfallen.
Eine tolle Sache! Wie läuft es denn ab, wenn ich einen Brief schreiben möchte?
Sarah: Das System funktioniert denkbar einfach: Du schreibst, bastelst oder malst etwas, mit dem du einem älteren Menschen Freude machen könntest – der Kreativität ist keine Grenze gesetzt. Über unsere Homepage (www.brief-freuden.opencampus.sh) oder die Instagramseite (@brief.freuden) findest du dann die Zieladressen, an die du deine Post ganz einfach verschickst. Unser erster Partner ist das Seniorenpflegeheim „Domicil“, wir planen aber, noch weitere Wohn- und Pflegeheime in unsere Liste aufzunehmen und sind auch dabei, uns eine Strategie zu überlegen, wie auch alleinwohnende ältere Menschen mitbedacht werden können, ohne ihre Adresse online zu veröffentlichen.
In den Seniorenpflegeheimen wird die Post gesammelt und für mindestens 24h geschützt aufbewahrt, denn aktuell davon ausgegangen wird, dass das Covid19-Virus 24h auf Papier überleben kann. Nach dieser Schutzmaßnahme werden die Briefe dann unter den Bewohner*innen verteilt. Man weiß also nicht vorher, an wen man schreibt, sondern die Briefe werden vor Ort gerecht verteilt. Wenn der ältere Mensch Lust hat, kann er den Schreibenden dann auch antworten – vielleicht entsteht ja auch eine schöne Brieffreundschaft über diese Zeit hinaus!
Was würdet ihr euch für das Projekt wünschen?
Sarah: Als erstes wünschen wir uns natürlich, dass das Projekt guten Anklang findet und viele Menschen Lust haben, bei unserer Aktion mitzumachen. Wir hoffen, dass aus unserer Idee wertvolle – wenn auch „nur“ schriftliche – Begegnungen entstehen, die sowohl das Leben der älteren Menschen als auch das der Schreibenden bereichern. Ein großer Wunsch ist außerdem, dass das Projekt auch über die aktuelle Situation in der Zukunft bestehen bleibt. Einsamkeit im Alter ist ein großes und wichtiges Thema, das im Alltagsleben der Menschen meist keine große Aufmerksamkeit bekommt. Die jüngeren Generationen leben meist ein Leben in so enormer Geschwindigkeit und so starkem Wandel, dass ein großer Teil unserer Gesellschaft oft vergessen wird: Die Senior*innen. Dabei haben gerade sie so viel Spannendes und Wichtiges zu erzählen und sollten viel mehr gehört werden. Durch unser Projekt hoffen wir, auch dauerhaft dazu beitragen zu können, der Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken.
Wissen die älteren Leute Bescheid, dass sie einen Brief bekommen oder ist es eine Überraschung?
Sarah: Mit dem „Domicil“ haben wir über die besten Möglichkeiten gesprochen und uns dazu entschieden, dass unser Projekt ein offenes Angebot für die Bewohner:innen sein soll. Für manche ist die aktuelle Situation beängstigend und ein Brief von fremden Menschen könnte dabei zusätzlich überfordern. Deswegen können die älteren Menschen sich für eine Teilnahme am Projekt melden. Eine schöne Überraschung bleibt so ein Brief dann aber trotzdem – wer weiß, was für ein spannender Mensch einem da geschrieben hat!
Wie kann das Projekt nach der „Krise“ vielleicht weiter ausgebaut werden?
Sarah: Wie oben kurz erwähnt wäre eine Idee, das Projekt nach der Aufhebung der strengen Kontaktsperren auf persönliche Begegnungen auszuweiten. Es könnte dann zu einer Initiative werden, die auch im normalen Leben den Kontakt zwischen Jung und Alt fördert und sich bemüht, vor allem den alleinstehenden, familienlosen Senior*innen regelmäßige soziale Kontakte und Abwechslung zu ermöglichen. Genau wie beim Briefeschreiben könnten da Einzelpersonen, aber auch ganze Familien mitmachen. Jeder Kontakt, jeder Mensch und jedes gute Herz zählt!
Das (virtuelle) Interview führte Ramona Dabringer