Nach zwei Trips durch die USA fuhr Anna Kitlar im vergangenen Jahr mit dem Fahrrad von Hongkong nach Griechenland. Am 11. Januar um 19.30 Uhr erzählt sie im ReiseShop persönlich über ihre Abenteuer
Sie sitzt in der Falle. Vor ihr versperren Felsbrocken den Weg, die durch eine Steinlawine den Hang hinab gespült wurden. Hinter ihr ist die Straße aufgrund einer Schneelawine ebenfalls nicht mehr passierbar. Doch um nachvollziehen zu können, wie Anna Kitlar mit ihrem Fahrrad in diese Situation irgendwo in den Bergen Tadschikistans gekommen ist, muss man ein wenig weiter ausholen.
Anna wird 1991 in Eckernförde geboren. Wie für Kleinkinder üblich, ist sie gern stundenlang an der frischen Luft. „Schon als ich drei Jahre alt war, bin ich sofort aus dem Haus gelaufen, sobald die Haustür offen stand“, berichtet die 26-Jährige vom frühen Fernweh und der Gewissheit, „dass ich in den nächsten Jahren nicht dauerhaft in Deutschland leben möchte.“ So verwundert es kaum, dass die passionierte Volleyballerin 2011 direkt nach ihrem Abitur am Kieler Thor-Heyerdahl-Gymnasium in die USA zieht, wo sie in New York von 2011 bis 2015 Politikwissenschaften studiert. Zum Ende ihres Studiums zieht sie mit einigen Kommilitonen durch die Bars von New York. Es wird ein Abend, der ihr Leben verändern wird. Eher beiläufig blickt sie auf das Handy eines Kumpels, der sich Fotos des Radreisenden Eric Morton anschaut. „Da habe ich spontan gesagt: Das will ich auch machen“, erinnert sich Anna. Doch während es sich die meisten am Tag danach wieder anders überlegen, steht für die Kielerin fest, dass sie an ihrer Schnappsidee festhalten will.
Nach dem Bachelorabschluss geht es los. Ausgestattet mit einem Fahrrad für 200 Dollar und einem Zelt aus dem Supermarkt will sie vier Monate lang quer durch die Vereinigten Staaten bis zur Ostküste radeln. „Aber nach 4000 Kilometern wurde mein Visum nicht verlängert“, blickt Anna zurück. Kein Problem für die ehrgeizige Studentin: Drei Monate nach der unfreiwilligen Unterbrechung kehrt sie in die USA zurück und fährt die restliche Strecke bis nach San Francisco.
Von da an ist das Radfieber endgültig ausgebrochen. Um sich den nächsten Trip zu ermöglichen, arbeitet Anna den gesamten Sommer im griechischen Sarti als Mountainbike Guide. Als der finanzielle Background steht, lauten die wesentlichen Anforderungen an den nächsten Startort lediglich: möglichst weit weg und möglichst warm. Die Wahl fällt auf: Hongkong.
Nur einen Monat nachdem Anna das Flugticket gebucht hat, geht es mit hochwertigerem Equipment im Januar 2017 in die Metropole am südchinesischen Meer. Dieses Mal liegt das Ziel, der Arbeitsplatz in Griechenland, aber auch deutlich weiter entfernt als beim US-Trip – knapp 8.500 Kilometer Luftlinie, um genau zu sein, aus denen – so viel sei vorweggenommen – rund 13.500 Rad-Kilometer werden. Von Hongkong aus geht es über Vietnam, Laos, Thailand und Malaysia bis nach Singapur, von wo die Weltenbummlerin nach Kasachstan fliegt. In Zentralasien erlebt sie die volle Intensität der Naturgewalten. In Kirgisistan radelt Anna bei Minusgraden durch einen Schneesturm, in Usbekistan kann sie hingegen oft nur nachts fahren, weil die Temperaturen tagsüber bis auf 47 Grad klettern. Geschlafen wird trotz aller widrigen Umstände fast immer im Zelt, Nahrung besteht aus Nudeln, Reis und Haferflocken. Selbst als sie eines Tages im Pamir-Gebirge von besagten Stein- und Schneelawinen eingeschlossen ist, verliert die Radreisende nicht den Mut. „Wenn man nicht mindestens ein Mal am Tag denkt: ,Was mache ich hier eigentlich?‘, macht man etwas falsch“, sagt Anna und lacht. Denn aus jeder noch so verworrenen Situation gibt es einen Ausweg. So auch im Pamir-Gebirge: Einheimische helfen ihr, das Rad samt Gepäck über die verschüttete Straße zu tragen.
Von Usbekistan geht es per Flugzeug in den Iran – einem Land, in dem Frauen das Radfahren durch religiöse Vorschriften erschwert wird. „Da hat mir meine Körpergröße sicherlich geholfen“, glaubt die 1,90-Meter-Hünin. Doch wie auf ihrem gesamten Trip erfährt sie auch hier grenzenlose Gastfreundschaft. Auch ein Grund, weshalb ihre Eltern trotz der Weltreise der Tochter ruhig schlafen können. „Sie sind eher stolz als ängstlich, weil sie wissen, dass mich das glücklich macht“, erklärt Anna, die sich unterwegs nie einsam fühlt, weil sie regelmäßig auf andere Reisende trifft. Über Armenien, wo sie einen Grenzbeamten wegen ihres zerschlissenen Reisepasses mit 50 Euro bestechen muss, Georgien und die Türkei mit der wunderschönen Landschaft Kappadokiens erreicht die 26-Jährige am 8. Juli 2017 nach 170 Tagen ihr Ziel.
Zeit zum Verschnaufen bleibt indes kaum. Derzeit arbeitet Anna auf ihren nächsten Trip hin. Vom 20. Februar bis 27. April will sie mit einer Engländerin 6000 Kilometer von Kenia bis ins südafrikanische Kapstadt fahren. Hinsichtlich dieses Lebensstils, der den Gewinn von Erfahrungen dem Materiellen vorzieht, sagt die Radreisende: „Man muss abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit.“ Anna Kitlar hat diese Entscheidung längst getroffen.
Vortrag am 11. Januar
Wer mehr über Annas beeindruckende Reise erfahren will, sollte am 11. Januar um 19.30 Uhr zu ihrem Vortrag in den ReiseShop kommen. Impressionen der Reise gibt es zudem auf Instagram. Dort ist Anna unter „bikexploring“ zu finden.