Von 1997 bis 2003 lenkte er als erster direkt gewählter Oberbürgermeister die Geschicke der Kieler Stadtverwaltung – Norbert Gansel. Im KIELerLEBEN-Interview spricht der 70-Jährige über seine Zeit nach der Pensionierung, seine Nachfolger und den THW Kiel.
Herr Gansel, Sie waren gestern bei der Geburtstagsfeier von CITTI-Gründer Gerhard Lütje. Als gebürtiger Kieler und ehemaliger Oberbürgermeister der Landeshauptstadt dürften täglich solche Einladungen zu Festivitäten von Kieler Persönlichkeiten in Ihrem Terminkalender stehen. Wie viele terminliche „Verpflichtungen“ haben Sie heute noch?
Norbert Gansel: Heute keine (lacht). Und das ist gut so. Ich freue mich, wenn ich eingeladen werde, aber ich muss, kann und will nicht mehr überall dabei sein.
Wie genießen Sie denn aktuell Ihren Ruhestand?
Ich genieße die Freiheit von Verpflichtungen. Bis vor kurzem hatte ich noch einen Lehrauftrag für Politikwissenschaft an der Uni Kiel. Die Arbeit mit den Studis hat mir viel Freude bereitet. Nun bin ich aber nur noch hin und wieder am Institut und mache keine Seminare mehr. Mit 70 Jahren war dann auch mal genug. Und jetzt genieße ich gute Nachbarschaft und Freunde, den Garten, ein Haus voller Bücher und an dem es immer etwas zu erledigen gibt. Freizeit eben – die Arbeit ist getan.
Der Kieler Zeichner Volker Sponholz widmete Ihnen 1997 die Comic-Figur „Norbert Gans“, und Altkanzler Helmut Kohl erwähnte Sie neben Willy Brandt als einzigen SPD-Politiker lobend in seiner Biografie, da Sie beide 1989 als erste SPD-Politiker die Überlebensfähigkeit der DDR angezweifelt hatten. Welche Ehre ist für Sie die größere?
Sponholz bleibt als Satiriker von mir weiter mit Kritik und Lob verschont. Das habe ich, obwohl ich ihn persönlich kenne, nie getan. Außerdem muss man Satire als Politiker ertragen können. Kohls Lob für mich war schon überraschend und schmeichelhaft. Eine Ehre? … Ich hoffe, es war so gemeint. Brandt hätte drüber geschmunzelt …
Warum?
Er hätte wohl gesagt: „Gegen Lob kannst du dich nicht wehren.“
Operatives Wissen veraltet schnell
Die Kieler liebten Sie dafür, dass Sie mit dem Rad durch die Stadt gefegt sind, in den Sommerferien Praktika gemacht oder abends mal im Oma Plüsch vorbeigeschaut haben. Fehlt heute den Albigs, Stegnern und anderen Lokalpolitikern dieses Verständnis von Wählernähe?
Ich war eben als 1968er zu einem volks- und basisnahen Mandat verpflichtet. Albig wendet sich auf seine Weise den Menschen zu und ist ein freundlicher Mensch. Zu Stegner schweige ich aus Höflichkeit.
War es für Sie eine Genugtuung, als Sie lesen durften, dass sich der SPD-Kreisparteitag kürzlich dafür aussprach, Stegner möge als Parteichef abtreten?
(Lacht) Das ist mir wirklich noch nie passiert … Ich hatte vor dem Parteitag zu meiner Frau gesagt, dass dies nach fünf Jahren ein Parteitag wäre, bei dem ich vielleicht mal wieder das Wort ergreifen müsste. Aber ich hatte den Tag falsch auf meinen Terminkalender notiert. Ich wäre einen Tag später hingegangen, da war aber alles schon so gelaufen, wie ich es für richtig gehalten habe. Sehr gut, wenn es auch ohne einen läuft.
Anlässlich Ihres 70. Geburtstags im vergangenen Jahr würdigte Sie OB Torsten Albig mit der Aussage, Ihr Rat sei im Rathaus bis heute Gold wert. Wie oft werden Sie denn noch um Ihre Meinung gefragt?
Zum Glück nicht oft. Operatives Wissen veraltet schnell. Ich mische mich nicht in Tagesfragen ein, und zu Grundsatzfragen ist meine Meinung bekannt. Zu Einzelheiten sage ich grundsätzlich nichts. Das habe ich seit meiner Pensionierung so gehalten.
Jetzt hat OB Torsten Albig nach nur zwei Jahren im Amt entschieden, sich für das Amt des Ministerpräsidenten zur Wahl zu stellen. Er hat Sie also nicht um Ihre Meinung gebeten …
Genau das ist so ein Beispiel. Torsten Albig wusste, was ich von ihm erwartete. Ein sozialdemokratischer Ministerpräsident kann viel für Kiel tun, und ein Kieler OB ist immer ein Kandidat für dieses Amt.
Fleiß ist gut, aber geistige Erholung ist manchmal besser
Das Zitat „Lieber mit der Wahrheit in die Opposition als mit der Lüge in die Regierung“ stammt von Ihnen. Wenn Sie sich die Politik der letzen Jahre betrachten, hat sich irgendein Politiker an Ihr Motto gehalten?
In Kiel habe ich in meinen Funktionen drei Nachfolger: Hans-Peter Bartels als Mitglied des Deutschen Bundestages, Rolf Fischer als Kreisvorsitzender und Torsten Albig als OB. Der Landtagsabgeordnete Jürgen Weber war bei mir Wahlkreisassistent. Ich finde meine Grundsätze in ihrer Arbeit wieder. Und das ist ein befriedigendes Gefühl für einen Ehemaligen.
Mit so viel Lebenserfahrung und etwas Abstand zur politischen Karriere: Würden Sie rückblickend in Ihrem Leben etwas anders machen, wenn Sie die Gelegenheit dazu bekämen?
Ja, eine ganze Menge. Ich habe doch nicht alles richtig gemacht und das Richtige nicht immer zu Ende bringen können. Oft fehlte die kritische Distanz zur eigenen Arbeit. Fleiß ist gut, aber körperliche und vor allem geistige Erholung ist manchmal besser. Ich rate allen, die in der Mühle stecken – und ich rate selten – „Nimm dir einmal im Jahr Zeit für einen mehrwöchigen Urlaub.“
Wenn Sie das Kiel aus Ihrer Jugend mit dem heutigen vergleichen, wie hat es sich entwickelt?
Ich habe Kiel noch in Flammen, in Schutt und Asche in Erinnerung. Der Wiederaufbau unserer Stadt ist die größte Leistung der Kieler Bürgerschaft in ihrer Geschichte, wie der legendäre Oberbürgermeister Andreas Gayk einmal sagte.
Die letzten Fragen gelten Ihrer großen Leidenschaft THW Kiel: Wann waren Sie zuletzt vor oder nach einem Spiel bei den Jungs in der Kabine?
Alles hat seine Zeit. Mit Noka Serdarusics Weggang habe ich mich etwas zurückgezogen. Aber ich habe noch immer ein nettes, persönliches Verhältnis zu den Jungs, und bei den Heimspielen bin ich natürlich dabei.
Welche(n) Titel wird der THW dieses Jahr holen?
Alle – mithilfe des HSV.
Norbert Gansel
wurde 1940 in Kiel geboren. Nach Abitur und Wehrdienst bei der Bundesmarine studierte er Geschichte, Politikwissenschaft und Jura in Kiel. 1965 trat Gansel in die SPD ein, saß von 1972 bis 1997 als direkter Abgeordneter des Wahlkreises Kiel im Bundestag. Freiwillig machte er alle seine Einkünfte öffentlich, nahm auch keine bezahlten Nebentätigkeiten wahr. Von 1997 bis 2003 war er dann erster direkt gewählter Oberbürgermeister seiner Heimatstadt. Gansel hat eine erwachsene Tochter und lebt mit seiner Frau Lesley in Meimersdorf.
Zeichner Volker Sponholz machte Norbert Gansel zum wohl einzigen Oberbürgermeister mit eigener Comicfigur: Norbert Gans