KIELerLEBEN hat die Stadt am Rand der berühmten Heide besucht und festgestellt, dass Lüneburg mit seiner Mischung aus mittelalterlichem Kern und quirligem Studentenleben immer einen Besuch wert ist.Der Alte Hafen und die pittoresken Fassaden der Kneipenmeile „Am Stintmarkt“ sind ein begehrtes Fotomotiv bei einem Lüneburg-BesuchMalerische Gassen prägen das Bild des mittelalterlichen Stadtkerns Lüneburgs
Heinrich Heine, einer der großen deutschen Dichter, konnte Lüneburg nichts Gutes abgewinnen. Der Besuch bei seinen Eltern, die von 1822 bis 1826 in der Stadt südöstlich von Hamburg wohnten, schien eine Qual zu sein. Lüneburg sei seine „Residenz der Langeweile“ schrieb Heine – und lange Zeit gaben ihm die Menschen Recht, die die Stadt zuletzt allenfalls als Einfallstor in die berühmte Heide wahrnahmen.
Dabei war Lüneburg einst eine der bedeutendsten Handelsstädte in Europa. Die Stadt wurde in einem Atemzug mit Lübeck genannt, und beide Metropolen der Hanse begründeten ihren Reichtum auf der Zusammenarbeit. Das Salz, das die Kaufleute in Lübeck für das Pökeln des Herings benötigten, lieferte Lüneburg. Das weiße Gold unter der Erde machte die Stadt am beschaulichen Flüsschen Ilmenau reich, brachte ihr Einfluss. Doch mit dem schleichenden Ende des Wirtschaftsverbundes ging es auch für die Hansestadt Lüneburg bergab: Die Fürsten kehrten zurück und beanspruchten das weiße Gold für sich.
Lüneburg fiel in eine Art jahrhundertelangen Dornröschenschlaf. Ausgerechnet eine Telenovela küsste die Stadt wieder wach: Die Macher von „Rote Rosen“, einer der inzwischen erfolgreichsten Endlos-Serien des deutschen Fernsehens, entdeckten 2006 die Schönheit der über 1.050 Jahre alten Stadt und machten sie zum Zentrum ihrer Handlung. Seitdem kann man nachmittags nicht nur die verwobenen Beziehungsgeschichten von Gunter Flickenschild, Merle Vanlohen oder Clemens Winter entwirren, sondern sich auch an der tollen Landschaft, dem quirligen Leben und an den historischen Bauwerken Lüneburgs ergötzen.
Zentrum der „Rote Rosen“-Geschichten ist das Hotel „Drei Könige“, das malerisch an der Ilmenau liegt. In den historischen Handelshäusern nachempfundenen Gebäuden residiert tatsächlich ein Hotel, das Lüneburgern und ihren Gästen aber als „Hotel Bergström“ bekannt ist. Von dort aus kann man sich auf den Spuren der „Roten Rosen“ durch die Stadt bewegen – und lernt so nicht nur die Drehorte, sondern auch die herausragenden Bauwerke Lüneburgs kennen. So befindet sich die Apotheke in der Alten Ratsbücherei neben dem Rathaus. Das 1230 gebaute Rathaus gehört zu den größten mittelalterlichen Bauten Norddeutschlands und ist nicht nur wegen der berühmten Gerichtslaube sehenswert. Direkt in Sichtweite befindet sich das ehemalige Schloss der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, das seit 1925 Sitz des Landgerichtes ist. Hier werden die Szenen im Büro des Staatsanwaltes gedreht. Beliebt ist auch die Außenansicht des Hotels Bergström: Mit dem Hafen, dem alten Kran und der historischen Häuserzeile am Stintmarkt zeigt sich Lüneburg hier von seiner schönsten und geschichtsträchtigsten Seite.
Der Alte Hafen und die pittoresken Fassaden der Kneipenmeile „Am Stintmarkt“ sind begehrtes Fotomotiv bei einem Lüneburg-Besuch.
Doch Lüneburger wissen, dass am Stintmarkt auch abseits der „Roten Rosen“ das Leben pulsiert: Die Kneipendichte am „Stint“ ist beeindruckend, abends und an den Wochenenden genießt man dort und in der Schröderstraße das Freizeit-Programm einer Studentenstadt. Denn nicht nur die „Roten Rosen“ bewirkten, dass Lüneburg aus seinem Dornröschenschlaf erwachte: 1989 zog die heutige „Leuphana-Universität“ auf das Gelände einer ehemaligen Kaserne, nach der Umwandlung der pädagogischen Hochschule in eine „echte Universität“ stiegen die Studentenzahlen und damit auch das Interesse junger Menschen an der Stadt. Mit ihren heutigen 6.500 Studienplätzen sorgt die Leuphana-Universität für Leben auf und rund um den Campus, das Stadtbild hat sich seitdem deutlich verjüngt. Die Konsequenz: Mit heute über 73.000 Einwohnern ist Lüneburg nicht nur größer als je zuvor, sondern auch eine der wenigen deutschen Städte, die sich in den vergangenen 20 Jahren über einen ständigen Zuzug freuen durfte.
„Am Stintmarkt pulsiert das Leben: Die Kneipendichte ist beeindruckend.“
Noch heute spielt natürlich auch das Salz eine große Rolle im Stadtbild. Im Deutschen Salzmuseum in der alten Saline der Stadt kann man viel über die Geschichte des Salzabbaus in Lüneburg und dessen bis heute andauernden Folgen informieren. Sichtbar werden diese auch im westlichen Teil der Alstadt: Die malerischen, mittelalterlichen Häuser haben sich hier zum Teil dramatisch in die durch den Salzabbau entstandenen Hohlräume unter der Erde abgesenkt. Nichts mit dem Salzabbau hat hingegen der schiefe Turm der ältesten Kirche Lüneburgs, St. Johannis, zu tun. Hier hatte sich der Baumeister 1406 schlichtweg verrechnet, als er den 108,7 Meter Turm nach einem Feuer wieder aufbauen sollte. Um 2,20 Meter ist die Spitze heute aus dem Lot. Der Legende nach stürzte sich der Baumeister, als er seinen Fehler bemerkt hatte, aus dem oberen Fenster des Kirchturmes. Passiert sein soll ihm nichts, ein vorbeifahrender Heuwagen habe seinen Sturz abgefangen …
Dieser Heuwagen war bestimmt auf dem Weg zum Sande. Am Sande ist der spektakulärste und älteste Platz Lüneburgs. Die sensationelle Silhouette mit den stilbildenden Treppen- und Schneckengiebeln sowie dem Renaissancebau der Industrie- und Handelskammer mit seiner prächtigen Fassade am Kopf des Platzes ist einmalig.
Einmalig – so könnte man einen Besuch im heutigen Lüneburg wohl am besten beschreiben. Tolle Bauwerke in einem nahezu unzerstörten Stadtkern, das abwechslungsreiche und bunte Leben einer Studentenstadt und ein Hauch von Intrigen und Herzschmerz: Lüneburg auf den Spuren des Salzes und der „Roten Rosen“ zu erleben, ist alles andere als langweilig. Und man kann sich sicher sein, dass Heinrich Heine das ebenfalls so gesehen hätte, wenn er Lüneburg in seiner heutigen, pulsierenden Schönheit erlebt hätte.
Christian Robohm