Michael Nast hat mit seinen Texten das Lebensgefühl von Millionen Lesern auf den Punkt gebracht. KIELerLEBEN sprach mit dem Berliner Autor über Beziehungsunfähigkeit, Dating-Apps und das Schreiben als Selbsttherapie …
KIELerLEBEN: Siehst Du Dich als männliche Carrie Bradshaw, die Kolumnistin aus „Sex and the City“, wie Dich die Berliner Morgenpost genannt hat?
Michael Nast: Nein, ich sehe mich nicht so. Carrie Bradshaw schreibt eine Kolumne über Beziehungen und Sex. Ich beschreibe das Leben, schreibe über Beziehungen zwischen Menschen und darüber, was die Gesellschaft aus uns macht.
Laut Deinem Buch hat diese Gesellschaft eine „Generation Beziehungsunfähig“ hervorgebracht? Wer ist das?
Ich dachte beim Schreiben: Das sind Großstädter zwischen 25 und 35 Jahren. Aber das Feedback zeigt, dass es Menschen von 17 bis 45 betrifft. Ich habe ein Gefühl vieler Leute in Worte gefasst und es so genannt, weil sie sich selbst für beziehungsunfähig halten.
Woher kommt die Beziehungsunfähigkeit?
Sie ist eine Konsequenz aus dem Leben, das wir führen. Wir wenden betriebswirtschaftliche Prinzipien auf das Privatleben an. Es geht nicht ums Ankommen, sondern darum, sich ständig zu verbessern. Wir streben nach einer Perfektion, die nie erreicht wird. Das lässt uns zweifeln und entscheidungsunfähiger werden. Man wird unverbindlicher.
Sind viele von uns Egoisten?
Ja, im Kapitalismus werden Egoismus und Gier kultiviert. Wir entscheiden in Beziehungen viel über das Ego. Denke ich an eine potenzielle Freundin, sage ich: Ich will eine gewisse Harmonie. Dann merke ich, es ist ein Denkfehler, zu sagen: Ich (!) will Harmonie. Zusammengefasst ist es oft so: Ich bin auf meinem Weg und möchte nicht durch Beziehungsprobleme gestört werden.
Aber es gibt doch beziehungsfähige Menschen?
Natürlich, aber es gibt mehr Singles im Land als je zuvor. In Berlin etwa wohnen sehr viele junge Leute – doch prozentual gibt es dort die höchste Singledichte. Je mehr Möglichkeiten man hat, desto schwerer fällt es, sich zu entscheiden.
War es früher besser?
Die Gegebenheiten waren anders. Man führte eine Ehe, hatte Familie, ein Haus – das alles löst sich auf. Wir genießen absolute Freiheit und müssen lernen, damit umzugehen. Das ist wie ein Rausch. Ich vergleiche das gerne mit diesen Dating-Apps.
Das musst Du erklären …
Die Nutzung von Tinder gleicht dem Konsumieren von Menschen: Man sieht die Masse der Fotos, wählt danach aus. Das ist wie ein Clubbesuch, bei dem man die Frauen im Raum checkt und sich für jemanden entscheidet. Das Nachtleben ist der oberflächlichste Ort überhaupt – und Tinder ist das Nachtleben in eine App transportiert.
Hilft Dir das Schreiben, beziehungsfähig zu sein?
Meine Ex-Freundin hat gesagt: ,Du kannst andere gut reflektieren, aber bei Dir selbst ist es schwierig.‘ Seit die Beziehung vorbei ist, nutze ich die Texte, um mich zu reflektieren. Das Schreiben ist also schon selbsttherapeutisch. Ich merke, was in meinem Leben falsch läuft und müsste etwas dagegen tun – nur dazu fehlt mir der Ansatz, da ich in diese Gesellschaft hineingeboren bin.
Das Interview führte Jan Lohmann
Michael Nast …
… ist 1975 in Ost-Berlin geboren. 2007 begann er einen Blog zu schreiben, veröffentlichte dann das Hörbuch „Berliner Schule“ (2008) und die Bücher „Der bessere Berliner“ (2009) und „Ist das Liebe oder kann das weg?“ (2014). Nast schreibt Kolumnen für das Online-Singlemagazin im gegenteil und für freundin.de. „Generation Beziehungsunfähig“ war einer der erfolgreichsten deutschen Online-Texte 2015. Im Februar 2016 erschien das gleichnamige Buch.