Felix Krull ist ein Hochstapler. Die Geschichte um die wohl bekannteste Roman-Figur Thomas Manns blieb allerdings unvollendet. Das Kieler Schauspielhaus hat dies zum Anlass genommen und Hochstaplergeschichten aus dem Alltag zusammengetragen. Auf der Basis von Manns Romanfragmenten ist eine Kollage über Verwandlungskünstler, Identitätsdiebe und dem Verschwimmen von Lüge und Wahrheit entstanden. Gestern Abend feierte das Stück „Felix Krull und seine Erben“ im Kieler Schauspielhaus Premiere.
Die Idee
Die Romanfigur Felix Krull aus dem gleichnamigen Fragmentroman von Thomas Mann ist ein Hochstapler: Er reist unter falschem Namen und schlüpft in fremde Identitäten. Wer er wirklich ist, kann er niemals offen zeigen. Auch in unserem heutigen Alltag gibt es diese Hochstapler. Immer dann, wenn die Wahrnehmung der eigenen Identität nicht mit der Erscheinung in der realen Welt zusammen passt, muss nachgeholfen werden. Das Kieler Schauspielhaus hat in Zusammenarbeit mit Thomas Rausch vom Theater- und Performancekollektiv lunatiks produktion besonders kreative Verwandlungskünstler sowie deren Opfer in Deutschland, Österreich und der Schweiz interviewt. Bei den Gesprächen standen stets die Fragen „Was macht die Faszination aus, sich für jemand anderen auszugeben?“ und „Wo stößt die Lüge nicht nur an strafrechtliche Folgen, sondern wird darüber hinaus in Bezug auf moralische Norm und Pietät fraglich?“ im Vordergrund. Das Ergebnis ist ein emotional berührendes und die Abgründe der menschlichen Seele offenlegendes Theaterstück, das dem Zuschauer ausgewählte Erben von Felix Krull vorstellt.
Die Handlung
Die Hauptfigur Felix Krull (Jennifer Böhm) fühlt sich zu etwas Höherem berufen. Deshalb versucht er stets, seinem Glück auf die Sprünge zu helfen. Im einem Pariser Hotel trifft Krull auf andere Figuren des Mann-Romans, zum Beispiel Professor Kuckuck (Werner Klockow) und den Oberstabsarzt Dr. Grässlich (Marius Borghoff): Er sitzt seinem Paten, dem Maler Schimmelpreester (Isabel Baumert) in verschiedenen Kostümen Modell, wird der romantische Freund der Prostituierten Rosza (Claudia Friebel), der Liebhaber von Madame Houpflé (Ellen Dorn) und setzt als Doppelgänger von Marquis de Venostra (Marco Gebbert), der lieber bei einer Frau verweilen möchte, dessen Reise fort.
Gespickt ist die Handlung mit Ausschnitten aus den von Tobias Rausch geführten Interviews. Die Beichten der einzelnen Befragten reichen von der Verheimlichung der Blindheit eines Kellners bis zum falschen Arzt, der nie ein Studium absolviert hat und werden jeweils von verschiedenen Bühnenfiguren zitiert.
Fazit
Eine rundum gelungene Produktion, die den Zuschauer zum Nachdenken über sein eigenes Ich, seine Wünsche und Sehnsüchte und seine eigene (Wunsch-)Identität anhält.
Das Bühnenbild, das zwar verschiedene Zimmer des Pariser Hotels zeigt, erinnert durch diverse Klettervorrichtungen, wie Leitern, Rampen und Seile, stark an einen Rattenkäfig. Unterstrichen wird diese Impression zusätzlich durch die am unteren Bühnenrand angebrachte, bespielbare Plexiglasbox, die mit Styroporkugeln, dem Käfigstreu, ausgelegt ist.
Die aus den Interviews extrahierten Erlebnisse, die im Originalton von unterschiedlichen Bühnenfiguren zitiert werden, sind ein schöner, dramatischer Kniff: Es entsteht eine akustische Kollage, die deutlich zeigt, dass jeder in die Rolle eines Anderen schlüpfen kann. Für eine Aufführung dieses Themas hätte es keine bessere Bühne als die eines Schauspielhauses geben können, denn genau an diesem Ort geschehen Verwandlungen und das Verschwimmen von Lüge und Wahrheit, von Realität und Illusion, jeden Abend.