Weiß. Rot. Blau. Grün. Pink. Luftballons. Glitzer. Wasserbomben. Regisseur Dariusch Yazdkhasti inszeniert Pierre Choderlos de Laclos’ 1782 erschienenen Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ am Kieler Schauspielhaus als knallbuntes, explosives Intrigenspiel zwischen Farbeimer und Verlangen. Am Samstagabend feierte das Stück eine polarisierende Premiere.
Ja, es wird herumgesaut in schönster Manier: Farbe wird gleich eimerweise verspritzt, verpinselt, verschmiert, es wird geschrien, getanzt und gesungen, und seltsame Kostüme (Katharina Kromminga) gibt es auch – welcher ernstzunehmende Mann trägt bitte knallenge Leggings, und dann auch noch in Rot? Mein Gott, ist das alles modern.
Aber schau an, das Intrigenspiel zwischen der dekadenten Madame de Merteuil und ihrem Ex-Liebhaber Valmont funktioniert auch nach über 200 Jahre noch ganz fabelhaft. Denn entgegen der ersten Ahnung, dieser Abend würde sich in die Klamauk-Inszenierungen der vergangenen Monate einreihen, ist einmal mehr auf Dariusch Yazdkhasti Verlass.
Seine fünf Schauspieler begegnen der Textfassung der „Liebschaften“ von Yazdkhasti und Annika Hartmann in einer barock anmutenden Szenerie mit 60er Jahre Interieur (Bühne: Simeon Meier). Hier zieht Yvonne Ruprecht als Madame de Merteuil ihre Strippen; zunächst etwas überpointiert, später aber sehr beachtlich. Gleiches Bild bei Claudia Friebel, die als naive Cécile Volanges ebenfalls erst mit dem Verlauf der abgründigen Ereignisse an Substanz gewinnt, dann aber überzeugt.
Felix Zimmer muss mal wieder als harmloser Jüngling ran und spielt den in Cécil verliebten Chevalier de Danceny, der nicht zuletzt wegen Pinsel und Farbeimer noch „grün“ hinter den Ohren ist. Imanuel Humm hingegen darf in seiner Rolle als Vicomte de Valmont den Obermacho geben und glänzt dabei ohnegleichen. Trotz hautenger Leggins, die im Schritt mit diversen Utensilien reich bestückt immer wieder für Belustigung sorgt, widmet er sich erfolgreich der Veführung. So erliegt ihm schließlich sogar die tugendhafte Présidente de Tourvel, deren Rolle Isabel Baumert ein paar herrlich verzweifelte Wutausbrüche beschert.
Die Musik dazu reicht von leichtem französischen Pop à la Zaz bis zu Chris Isaaks Klassiker „Wicked Game“, der mit seinen Zeilen „No, I don't want to fall in love, this love is only gonna break your heart“ die ganze Tragik der Geschichte zusammenzufassen scheint.
Und wenn die fünf Schauspieler, allen voran Claudia Friebel, das Lied ohrendbetäubend schief von der Bühne schmettern, mag der ein oder andere dabei die Hommage an die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist erkennen. Schon 1995 kreischte sie den Song gemeinsam mit Anders Guggisberg herzzerreißend schräg in einer ihrer Videoarbeiten.
Kunst statt Klamauk – für einige Premierenzuschauer war das an diesem Abend nicht ganz so eindeutig. Sie verließen den Saal schon, nachdem sich der erste Farbeimer schwallartig auf der Bühne ergoss. Dabei wurde in der Geschichte des modernen Theaters mit Sicherheit schon gedankenloser herumgeschmiert. Yazdkhasti geht die Sache clever, gewitzt und vor allem interessiert an. Wer schert sich da noch um Werktreue?
Nur ein bisschen zu lang geraten ist es, das Stück. Aber es hat durchaus seine Momente – und davon nicht wenige. Das quittierte das Publikum am Samstag mit tosendem Applaus ebenso wie mit lautstarken Buh-Rufen. Manche mögen’s halt bunt. Und manche eben nicht.
Die nächste Vorstellung findet statt am Donnerstag, den 26. Mai, ab 20 Uhr im Schauspielhaus Kiel. Tickets und weitere Infos unter www.theater-kiel.de.
Fotos: struck-foto