Faiza Tahir ist die Gründerin der Bürgerinitiative „Kiel hilft Flüchtlingen“. KIELerLEBEN traf die 29-Jährige zum Interview und sprach mit ihr über Integration, Hilfsbereitschaft und die aktuelle Flüchtlingssituation in Kiel.
KIELerLEBEN: Wie hast du es geschafft, deine Idee, eine Initiative für Flüchtlinge zu gründen, umzusetzen?
Faiza Tahir: Als das Thema aufkam, wurde die bereits existierende Facebookgruppe „Kielbook“ – ein Austauschportal für Kieler – vermehrt als Plattform für die Spendensuche genutzt. Unter den Beiträgen folgten dann hunderte Kommentare von Leuten, die helfen oder sich einfach einmischen wollten. Letzten Endes wusste niemand mehr, ob das Gesuchte, wie zum Beispiel eine Kinderjacke, jetzt gefunden war oder nicht. Das habe ich mir etwa zwei Wochen angeguckt und dann dachte ich: So strukturlos kann es nicht weitergehen.
Du hast also die neue Gruppe „Kiel hilft Flüchtlingen“ gegründet.
Es musste eine Gruppe geben, wo sich Leute nur zum Helfen, also zum Beispiel zum Essen und Kleider verteilen, treffen können. Am Anfang dachte ich: „Da wird doch kein Mensch beitreten.“ Jetzt sind wir 12.000 Mitglieder und lagern die Spenden in einer großen Lagerhalle in der Gärtnerstraße, die so voll ist, dass wir bald wieder umziehen.
Warst du früher schon ehrenamtlich aktiv?
Ja, ich habe in Hamburg vier Jahre lang für Obdachlose gekocht. Als ich nach Kiel kam, habe ich etwas Neues gesucht. Das nettekieler Ehrenamtsbüro wollte mich unbedingt für die Flüchtlingsarbeit gewinnen. Das wollte ich aber nicht. Das klingt vielleicht egoistisch, aber ich weiß, wie blöd diese Situation als Flüchtling ist, und wollte damit nicht konfrontiert werden.
Du hast die Erfahrung also selbst gemacht?
Ja. Meine Familie ist vor 25 Jahren aus Pakistan nach Deutschland gekommen. Wir haben vier Jahre lang in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt. Aber vielleicht ist genau das ein Grund, warum ich mich letzten Endes doch für die Flüchtlingshilfe entschied: Weil ich weiß, wie es ist, wenn man sein Land verlassen muss.
Die Menschen hatten jetzt Zeit, sich an das Thema zu „gewöhnen“. Hat die Hilfsbereitschaft da nachgelassen?
Im Gegenteil: Ich glaube, dass die Leute hilfsbereiter sind, wenn sie sehen, wo die Hilfe ankommt. Ich bin so unheimlich stolz auf Kiel und seine Bürger. Was hier geleistet wird, ist der Wahnsinn!
Wer entscheidet, an wen was verteilt wird?
Das läuft alles über die Anfragen der Unterkünfte und Hilfsorganisationen. Wir kooperieren mit jeder Unterkunft. Wird irgendwo etwas gebraucht, werden wir danach gefragt.
Für was genau bist du verantwortlich?
Ich mache die Verwaltung der Netzwerke und die Finanzen. Die anderen beiden Hauptadministratoren – Christian Müller und Sebastian Rehbach – kümmern sich um andere Bereiche. Christian ist Jurist und Ansprechpartner für Presse, Polizei und Feuerwehr. Sebastian kümmert sich ums Lager. Er weiß genau, welche Palette wo steht und wie viele Pullis wir haben. (lacht)
Was war dein schönstes Erlebnis während deiner Arbeit bei „Kiel hilft Flüchtlingen“?
Die Menschen sind sehr dankbar. Schön ist auch, dass die Helfer teilweise nach acht Stunden Arbeit zu uns kommen, um Essen auszuteilen, und trotzdem alle immer super freundlich sind. Der beste Moment ist aber, wenn ich abends das Licht in der Markthalle – die Unterkunft für Transitflüchtlinge, die weiter nach Schweden wollen – ausgeht. Wenn leise geschnarcht wird, bin ich zwar total kaputt, aber ich weiß auch: Hier sind alle satt und sicher.
Gibt es auch traurige Momente?
Ich kenne drei Kinder, deren Mutter beim Bombenanschlag ums Leben gekommen ist. Der Vater ist jetzt alleinerziehend und völlig überfordert. Das sind Geschichten, die einem das Herz zerreißen.
Wie geht’s weiter mit den Flüchtlingen?
Momentan sind über 2000 Flüchtlinge in Kiel, davon einige Transitflüchtlinge am Schwedenkai und in der Markthalle, aber auch Flüchtlinge, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, also im hohen Norden bleiben wollen. Natürlich sollen diese irgendwann in eigene Wohnungen ziehen. Teilweise klappt das schon, aber dass alle in naher Zukunft eine Wohnung bekommen, sehe ich aktuell noch nicht. Dafür fehlt der Wohnraum. Wir müssen eben Stück für Stück vorgehen, denn der wichtigste Teil kommt ja noch.
Die Integration.
Genau. Eine große Bitte an die Bevölkerung: Engagiert euch aktiv. Es gibt so viele Möglichkeiten zu helfen und Immigranten unsere Gepflogenheiten näher zu bringen, zum Beispiel indem man sie durch eine Patenschaft betreut.
Wie könnte so eine Patenschaft aussehen?
Eine Dame hat sich zum Beispiel mal fünf, sechs Frauen geschnappt und ist mit denen zu Rossmann gegangen, um Haarshampoo und -spülung zu kaufen. Das fanden sie super, einfach weil sie mal rausgekommen sind und weil sie ihre Haare endlich bändigen konnten. (lacht)
Ihr wart letztens beim THW. War das im Zuge der Integration?
Wir haben 200 Karten geschenkt bekommen und sie unter Helfern und Flüchtlingen aufgeteilt. Alle haben den THW mit „Kiel! Kiel!“ angefeuert. Ein Mann aus Syrien, der mit war, war Profihandballer in seiner Heimat und total begeistert von dem Spiel. Er hat sich sogar schon hier im Sportverein angemeldet. Das ist für mich ein tolles Beispiel für Integration.
War das bei dir und deiner Familie damals ähnlich?
Wir sind sehr gut behandelt worden und unsere Eltern haben uns eine offene Einstellung beigebracht. Wenn Eltern eine positive Erfahrung machen, können sie die an ihre Kinder weitergeben. Meine Brüder sind hier geboren und meine Kaninchen heißen Hildegard und Friedrich. Deutscher geht’s doch nicht, oder? (lacht)
Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
Im Januar fange ich mein Pflichtpraktikum bei Bartels-Langness in der Personalabteilung an.
Du studierst also „nebenbei“?
(lacht) Ja, ich studiere BWL. Man kann tatsächlich sagen, dass ich das nebenbei mache. Hauptberuflich arbeite ich ehrenamtlich.
Das Interview führte Katharina Prieß
Kiel hilft Flüchtlingen – die Fakten
„Kiel hilft Flüchtlingen“ ist eine unabhängige Bürgerinitiative, die auf Facebook ins Leben gerufen wurde. Jeder, der Lust hat, kann sich dort melden und in der Flüchtlingshilfe engagieren. Egal, ob im Lager in der Gärtnerstraße, in den verschiedenen Notunterkünften für Transitflüchtlinge oder den Gemeinschaftsunterkünften, an der Essensausgabe, der Kleiderverteilung, in der Kinderbetreuung oder der Freizeitgestaltung – Helfer werden immer gebraucht. Alle Infos zum Thema, der Initiative und der Helferanmeldung finden Sie unter www.kiel-hilft-fluechtlingen.de.