Kirsten Bruhn, eine der bekanntesten Behindertensportlerinnen der Welt, sitzt nach einem schweren Unfall im Rollstuhl. Mit KIELerleben-Redakteur Markus Till sprach sie über ihr Handicap und den Behindertensport in Deutschland
KIELerleben: Am 10. Oktober halten Sie in Kiel einen Vortrag „Von den Besten profitieren“. Worum geht es dabei?
Kirsten Bruhn: Das Ganze basiert hauptsächlich auf meiner Lebensgeschichte. Mein Lebensplan war natürlich nicht, diese im Rollstuhl zu bestreiten.
Unternehmen buchen Sie, damit Sie von Ihrem Schicksal erzählen. Mit welchem Zweck?
Zukunftsperspektive und Nachhaltigkeit sind großen Firmen wichtig, die für ihre Mitarbeiter Workshops oder ähnliche Veranstaltungen buchen. Ich halte keinen wissenschaftlichen Vortrag, sondern erzähle einfach etwas aus meinem Leben.
Sie waren 21 Jahre alt, als Ihnen der Unfall im Urlaub passierte. Sprechen Sie ganz offen über die Auswirkungen?
Ich spreche ganz offen, aber nicht offensiv. Ich bin Botschafterin für das Unfallkrankenhaus in Berlin für den Bereich Reha und Sport. Ich gehe an Schulen ab der fünften Klasse und thematisiere, was es heißt, mit einem Behinderungsgrad zu leben.
Was heißt das konkret?
Mit einem Rollstuhl fällt man natürlich immer auf. Behinderung ist auch im 21. Jahrhundert ein Makel im Sinne von „schlecht“. Den Vorurteilen und Ungewohntheiten im Umgang mit Behinderung, die mindestens 90 Prozent der Menschheit haben, möchte ich einfach gegensteuern. Und zugleich Behinderten mitgeben: Ihr müsst schon etwas tun, damit ihr euch entsprechend bewegen könnt. Auch Behinderte werden älter. Früher wäre man vielleicht tödlich verunglückt, heutzutage überlebt man, aber mit Handicap.
Wie lange schwimmen Sie jetzt nicht mehr? Nutzen Sie denn immer noch Kontakte von damals?
Seit September 2014 schwimme ich nicht mehr. Ich habe ehrenamtliche Funktionen, bin in Schleswig-Holstein im Landessportverband, in Berlin im Behinderten-Rehabilitationssportverband im Vorstand und im Vorstand des deutschen Behindertenverbandes. Ich habe als Aktive immer gesagt: Man kann sicher einiges verändern, und daher habe ich die Seiten gewechselt. Wenn ich merke, ich kann wirklich etwas bewirken, mache ich weiter. Im Moment ist der Stand des Sports in Deutschland nicht gerade gut.
Haben Sie schon vor Ihrem Unfall Schwimmen als Wettkampfsport betrieben?
Ja. 1985 war mein Highlight mit der Qualifikation für die Junioren-Europameisterschaften in Luxemburg. Damals war ich 17 und bin Vierte geworden. Das war eine große Enttäuschung und mir stellte sich die Frage, ob ich darauf aufbauen könnte.
War der Traum denn da, den Sport als Beruf auszuüben?
Der Traum war definitiv da. Ich merkte aber, dass der Plan vielleicht nicht aufgeht. Und dann habe ich überlegt, was ich überhaupt machen wollte. Dann wurde die Intensität im Training immer weniger.
Dann haben Sie diese Wettkampfsituation aber schon gekannt. Also auch die mentale Stärke entwickelt?
Ich liebe Effektivität und will wissen, warum ich Dinge tue, und ich mag auch gern Feedback haben. Nicht: Das hast du aber gut gemacht, sondern im Sinne von: Das und das kannst du verbessern. Das ist natürlich im Sport gegeben, wie ich ihn für mich definiere. Mich einfach bewegen, das ist nicht alles gewesen. Ich musste immer an meine Grenzen kommen.
Was motiviert Sie?
Ich liebe die Bewegung, mich körperlich wohlzufühlen. Es war für mich immer eine Selbstverständlichkeit, mich zu bewegen. Meine Eltern waren beide Leistungssportler. Und ich habe zwei größere Geschwister, denen ich es als schwächstes Glied irgendwann mal zeigen wollte. Da kommt wohl dieser Kampfgeist her. Diese Selbstverständlichkeit ist mittlerweile eine Notwendigkeit. Ich merke, wenn ich ein oder zwei Wochen nichts mache, dass es nicht gut für meinen Körper ist.
Ist Ihnen das Aufhören schwer gefallen?
Nein, gar nicht. Für mich war klar: 2012 in London waren die letzten Paralympics. 2013 habe ich die WM in Montreal und 2014 die EM in Eindhoven mitgemacht. Einen direkten Cut wollte ich nicht machen, und ich habe mich noch gut gefühlt. So hatte ich je drei Mal diese Titel gewonnen, und in aller Harmonie mit mir selbst habe ich dann aufgehört.
Nimmt man den Behindertensport in Deutschland überhaupt wahr?
Immer mehr. Von 2002 bis 2017 hat sich das schon exorbitant entwickelt.
Wer war der Garant für diese Entwicklung?
Die Paralympics. Durch die Medien, die übertragen und berichtet haben. Wir möchten aber natürlich, dass auch von EM oder WM berichtet wird. So, wie es ja auch in anderen Sportarten üblich ist. Den Anspruch kann man gern haben. Das umzusetzen ist für mich als Funktionär ein Ziel, eine große Perspektive.
Tut denn die Politik genug?
Jein! Es wird vieles versprochen und besprochen, aber die Umsetzung ist schwierig. Aber ich merke schon, die letzten zwei Jahre sind nicht sinnlos gewesen, meine Worte finden Gehör. Aber man braucht Zeit.
Sind Sie stolz auf Ihre Erfolge?
Ich bin dankbar. Stolz sind meine Eltern. Ich habe ja nichts bewegt.
Kurz zurück zur Veranstaltung in Kiel: Diese ist nur für Frauen. Sie halten aber auch Vorträge für Männer?
Geschlechterunabhängig, altersunabhängig. Ich war auch schon im Seniorenheim.
Ach ...
Ja, erstmal habe ich meine Geschichte erzählt. Als plötzlich Behinderter musst du natürlich anders mit deinem Leben umgehen, als wenn du normal alterst. Du merkst, dass die Dinge schneller werden beziehungsweise du selbst langsamer. Da fühlen sich die älteren Herrschaften verstanden und merken, dass sie nicht allein dastehen.