Es wurde viel gelacht, als Karen Duve am Dienstagabend aus ihrem Werk über das Essen las. Von reiner bio, dann vegetarischer bis hin zu veganer und gar rein frutaner Ernährung testete die Autorin das ganze Spektrum moralischer Esskultur aus. Vor allem aber verstand sie es, unterhaltsam davon zu berichten. Das Publikum dankte es mit manchem Lacher und kräftigem Applaus. Jedoch hatte der Abend auch seine nachdenklichen Seiten.
Schon bei Betrachtung des Publikums fiel auf, dass es sich nicht um die übliche Zuschauermischung handelte, der man ansonsten bei Romanlesungen oder der Präsentation politischer Sachbücher begegnet. Viel jüngeres Publikum und einige bunte Tupfer waren da zu sehen. Letzteres vor allem Zuhörerinnen, die jenem Klischee an bunten Pullovern und verfilzten Haaren angenähert waren, das sich der Durchschnittsmensch und Qualfleischverzehrer so vom veganen Tierschützermädchen macht. Zugleich aber auch, hier ebenfalls dem Klischee verpflichtet, zwei drei would-be Großgrundbesitzer mit Wachsjacke zu Grobcord. Dies verhieß ein paar knackige Statements und scharfzüngige Fragen für die abschließende Diskussion mit der Autorin.
Zunächst aber ergriff Dr. Sandfuchs vom Literaturhaus Schleswig-Holstein das Wort und begrüßte Karen Duve sowie die über zweihundert Gäste in der Kunsthalle Kiel. Dorthin hatte die Lesung aufgrund des großen Ansturms verlegt werden müssen. Auch hier war die Veranstaltung ausverkauft. Platzanweiser verteilten die Zuhörer auf die Plätze, so dass auch der letzte Hocker an der Rückwand noch belegt war. Dr. Sandfuchs führte kurz in das Werk ein und unterließ es nicht, sich der Heiterkeit des Publikums mit dem Hinweis zu versichern, dass Frau Duve auch alles selbst geschrieben und fast überall richtig zitiert habe.
Biologisch, vegetarisch, vegan und frutan
Zunächst las Karen Duve aus den ersten Kapiteln, um in die Erzählung einzuführen. Auslösender Faktor für die Idee des ernährungsbewussten Selbstversuchs war ihre Mitbewohnerin Kerstin, die gewissermaßen das schlechte Gewissen der Autorin personifizierte. Kerstin verdarb Karen beim Einkauf im Supermarkt die Freude an der Hähnchengrillpfanne. Dieses äußerst praktische Fleischgericht war bis dahin fester Bestandteil der Duveschen Ernährung gewesen. Nun aber wurde sie mit Hinweisen auf die elende, tierquälerische Haltung, kurzum mit der „Unerfreulichkeit der Lebensbedingungen billigen Fleisches“ direkt beim Griff ins Kühlregal konfrontiert. Der Autorin kam ihre Überzeugung zu Bewusstsein, dass in unserem Staat ein zu hohes Maß an Tierquälerei in Mast- und Schlachbetrieben zugelassen sei. Da es gerade Dezember war, beschloss Sie, sich vom 1. Januar an den eigenen Überzeugungen gemäß zu ernähren.
Hierzu entwarf Karen Duve den Schlachtplan, jeweils mindestens zwei Monate zunächst biologisch korrekt, dann vegetarisch, hiernach vegan und schließlich frutan zu leben. Indem sie sich nicht allein theoretisch informierte, sondern in Praxis gemäß dieser moralischen Prinzipien lebte, wollte sie Teil dieser ihr fremden Kulturen werden und sie am eigenen Leib erfahren. Dies erinnert ein wenig an Ethnologen, die zu gleichem Zweck monatelang auf einsamen Pazifikinseln unter den Eingeborenen leben. Den Gästen jedenfalls waren bio und vegetarisch vertraute Lebensformen. Von vegan und frutan hatte mancher vielleicht gehört, konnte jedoch wenig damit anfangen.
Das Amüsement über die Andersartigkeit
Dementsprechend umriss Karen Duve in der Lesung nur kurz die biologische Ernährung und ließ die vegetarische gleich ganz weg. Die – wohl unumgänglich als solche erscheinende – Fremdheit und Skurrilität des veganen und frutanen Lebens gereichten dann zu großem Amüsement des Publikums. Augenscheinlich wurde der clash of cultures vor allem in familiären Konfliktsituationen. Als sie in ihren veganen Monaten mit den Eltern essen ging, konnte die Autorin nichts von der Karte wählen und diskutierte mit dem Kellner, ob etwa Eier in den Nudeln seien. Die peinliche Qual in den Augen der Eltern ist leicht vorstellbar. Wer selbst einmal in Ernährungsdingen nicht dem gedankenlosen Konsum der breiten Masse folgte, kennt auch solche hilflos uninformierten Ansinnen, wie Karen Duve sie von ihrer Mutter berichtete. Diese fragte ihre vegane Tochter: „Und Schinken? Darfst Du als Veganerin mal ein Schinkenbrot essen?“ sowie „Die Milch hier kannst Du trinken, die hat nur 0,5% Fett!“. Auch über die freundliche Unwissenheit der unaufgeklärten Mutter konnte das Publikum sich von Herzen erheitern.
Die Berichte der Autorin über die eigenen veganen und die frutanen Erlebnisse ernteten somit viele Lacher. Zugleich unterließ sie es jedoch nicht, die Grundlagen hinter beiden Ernährungsarten anzureißen. Vegan zu leben bedeutet, keinerlei tierische Produkte zu verwenden. Dies geht über die Ernährung hinaus und betrifft etwa auch Leder oder in letzter Konsequenz auch Wolle et cetera. Frutarier wiederum erweitern diesen Ansatz, indem sie auch die Pflanzen als beseelte Mitlebewesen auffassen und es daher ablehnen, sie um der eigenen Bedüfnisbefriedigung willen zu töten. Daher sind Rüben, Wurzeln, Kartoffeln und ähnliches tabu, wohingegen Früchte, hierunter auch Nüsse und Samen fallend, in das verbleibende Ernährungsspektrum gehören.
Die Moral von der Geschicht
Was folgt aus dem Selbstversuch? Karen Duve sagte hierzu, dass sie die veganen Überlegungen verinnerlicht habe, die Argumente schlüssig und offensichtlich finde. Schwächere zu quälen und zu töten, bloß weil sie Tiere sind, sei nicht ihre Vorstellung von Recht. Auch die frutanen Überlegungen erschlössen sich ihr durchaus. Es sei wissenschaftlich nicht endgültig geklärt, ob Pflanzen leiden oder nicht, und jedenfalls sei jedes Lebewesen zu achten. Letztlich gehe es um bedeutende ethische Werte, um die Frage, wie wir mit den Lebewesen in unserer Obhut umgingen. Im Kern geht es demnach um eine Art Ethik des Menschen und seiner Mitlebewesen, nämlich Pflanze, Tier und Mensch. Die weitreichendste Moral, der Gedanke das Töten und Quälen aller Mitlebewesen zu vermeiden, kommt dabei in letztlicher Konsequenz einer moralrechtlichen Gleichsetzung von Tieren und Pflanzen mit dem Menschen gleich. Dies schien auch in der Lesung durch, als es in Bezug auf Kühe und Kälber hieß, dass man ja auch Müttern ihre Kinder nicht wegnähme, um sie dann wenige Monate später umzubringen.
In der insgesamt entgegen der Erwartung doch allzu harmonischen Diskussionsrunde am Ende der Lesung, fragte eine Zuhörerin, ob das Töten nicht schlicht Teil des Lebens, des Kreislaufs des Lebens sei. Karen Duve antwortete zunächst mit einer Geschichte von asiatischen Mönchen, den Anhängern des Jaina, die jedes Töten strikt ablehnen und Mundschutz tragen, um nicht versehentlich Fliegen einzuatmen. Sie selbst musste jedoch feststellen, dass vegane Ernährung ihr schlechte Laune verursachte, obschon sie zu den Überzeugungen stehe. Hieraus folgerte die Autorin die nicht unschmerzhafte Selbsterkenntnis, dass ihr Moralität offenbar gar nicht so wichtig sei, wie sie dachte. Am Ende steht daher ein Kompromiss. Sie lebe wesentlich moralischer als vorher, verspüre aber zugleich ein größeres Gefühl der Unmoral. Dieses sei eine Folge ihrer intensiven Befassung mit Ernährung, Tierquälerei, Umwelt- und Klimafolgen von Ernährung und Lebensweise jedes Einzelnen. Am Ende müsse jeder für sich selbst die Frage des „mehr oder weniger Tötens“ entscheiden.