Der THW Kiel musste am Mittwochabend das Ende einer langen Ära hinnehmen - die "Zebras" verloren nach mehr als 23 Jahren das erste Mal wieder vor heimischer Kulisse im Pokalwettbewerb. Besonders bitter ist diese Niederlage deshalb, weil sie das vorzeitige Aus für den THW bedeutet. Am Ende einer Partie, in der die Kieler kein einziges Mal die Führung gelegen hatten, stand ein 30:32 auf der Anzeigentafel der Kieler Arena und bedeutete mit einem Paukenschlag, dass Tag 0 nach zuvor 8432 ungeschlagenen Tagen in Kiel angebrochen war.
Die Kieler begannen mit Palicka im Tor, Klein, Jicha, Palmarsson, Vujin, Ekberg, Toft-Hansen am Kreis komplettierten die Starting-7 der Kieler. Wie in den letzten Partien auch, ließ Coach Gislason seine Mannen zunächst in einer 6:0-Abwehrformation agieren. Die an sich eher defensive Abwehrvariante interpretierten die Kieler zwar sehr offensiv und zeigten sich wieselflink auf den Beinen. Den Löwen Alexander Petersson bekam der THW aber nicht in den Griff, er traf nach Belieben und erzielte direkt zu Beginn der Partie drei Treffer in Serie. Auf Kieler Seite war es dem bärenstark aufspielenden Aron Palmarsson zu verdanken, dass die "Zebras" sich aber nicht abschütteln ließen und zunächst immer wieder ausgleichen konnten. Dennoch: Nach zehn Minuten hatten die Gäste bereits eine Differenz von drei Toren zwischen sich und die Kieler Hausherren gebracht (3:6), an eine drohende Niederlage glaubte zu diesem Zeitpunkt nach Kieler Selbstverständnis aber natürlich noch niemand, ein spannder Pokalabend lag in der Luft.
Bis zum Pausenpfiff entwickelte sich ein Spiel, das vor allem auf Kieler Seite von vielen technischen Fehlern geprägt war, die Rückraum-Schützen, die im letzten Spiel noch wahre Glanztaten vollbrachten, blieben blass und wirkten mit zunehmender Spieldauer immer unsicherer. Die Rhein-Neckar Löwen servierten zwar auch nicht gerade Handball-Feinkost, sie waren aber insgesamt effektiver als ihre Gegenüber, die für ihre Treffer hart arbeiten mussten. Torwart Niklas Landin entschärfte zudem auch einige Würfe der THW-Mannen. Auf der Gegenseite zeigte sich ein anderes Bild; der THW agierte spielte praktisch ohne echten Torverhinderer im Kasten, denn nachdem Palicka schon vorzeitig das Feld räumen musste, blieb auch Johann Sjöstrand glücklos. Das 14:14 (29.) kurz vor dem Pausenpfiff war rückblickend betrachtet die letzte echte Möglichkeit für den THW, das Spiel noch einmal zu drehen, symptomatisch allerdings, dass die Kieler die Gelegenheit verspielten, mit einer Führung oder zumindest diesem Ausgleich in die Kabine zu gehen. RNL-Kreisläufer Myrhol traf im Gegenzug, den folgenden Ballbesitz verspielte Kiel und so erhöhte "Löwe" Ekdahl du Rietz praktisch mit dem Pausenpfiff auf 16:14 aus Sicht der Gäste.
Die Kieler Spieler waren unzufrieden, das Publikum genauso, aber als geneigter THW-Fan glaubt man bei einem Zwei-Tore-Rückstand zur Pause noch lange nicht an eine Niederlage; schon gar nicht in einem so wichtigen Spiel. Gut 7.500 Kieler Fans plus 13 Handballer auf dem Parkett plus ein bis in die Haarspitzen motivierter Coach glaubten noch an die Wende!
Der erste Treffer gehörte aber dann doch wieder den Gästen, Bjarte Myrhol erhöhte auf 17:14, der THW hatte mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen und konnte erst vier Minuten nach Wiederanpfiff einen Torerfolg feiern. Zwar hatten es auch die Löwen nicht leicht, ihnen war aber zumindest das Glück hold und so gelang es ihnen, mit Kampf und Krampf das Drei-Tore-Polster aufrecht zu erhalten. Etwa ab der 40. Spielminute schienen auch die Kieler Fans endgültig zu erahnen, was in der Luft lag: "Ihr" THW drohte wirklich, im Pokalwettbewerb auszuscheiden, eigentlich undenkbar, war doch zuletzt im Jahre 1990 der THW nicht als Sieger vom Platz gegangen. Also legte das Publikum dezibelmäßig noch einmal eine Schippe drauf, nachdem es zuvor schon eine gute stimmliche Leistung abgeliefert hatte. Tatsächlich schien sich der Motivatonsschub auf die Spieler zu übertragen, die Halle hatte sich endgültig in einen Hexenkessel verwandelt, auf der Platte wurde es immer hitziger. Als Sjöstrand dann noch spektakulär (endlich!!!) einen Strafwurf von Andy Schmid entschärfte, und Vujin kurz darauf in Zeitz-Manier einen Kracher aus der Hüfte abzog und im Tor versenkte (18:20, 42.), war wirklich der letzte Kieler in der Arena wach und man glaubte kollektiv, dass noch etwas zu "reißen" war.
Auch die Gegner schienen nun gewarnt, die Gesten der Rhein-Nackar.Löwen wurden theatralischer, es kam zu einigen Wortgefechten, Rudelbildungen und Platzhirsch-Gehabe. Juhu, so sieht ein echter Fight aus... 46. Spielminute: 21:22; 49. Spielminute 22:23, die Kieler waren zu keiner Phase des Spiels so nah dran, wie zehn Minuten vor Abpfiff! Endlich erwachte auch Kapitän Jicha, dessen Tore dringend gebraucht wurden! Er meldete sich mit einem spektakulären Treffer zurück und hielt sein Team in den Folgeminuten auf Kurs. Die Körpersprache änderte sich noch einmal, jeder Kieler wuchs noch einmal mindestens einen Zentimeter und alle glaubten an ein gutes Ende. Noch! Als in der 53. Spielminute wieder ganze fünf Tore Differenz (22:27) auf der Anzeigentafel zu lesen waren, überkam so manchen schon eine ungute Vorahnung... aber man war ja in Kiel und Kiel verliert keine soooo wichtigen Spiele, nicht zu Hause, seit 23 Jahren nicht... So oder so ähnlich lautete das Mantra, das man sich immer wieder in den Kopf rief. Die Stimmung in der Arena war zum Zerreißen gespannt, der THW verkürzte ein ums andere Mal, aber der 56. Spielminute hielt es kaum noch einen Fan auf den Sitzen, 7.500 Kieler hatten kollektiv Puls!
57. Spielminute: 29:30, Niklas Ekberg verwandelt, stark und ohne Nerven!
Die Löwen wurden nervös, vertendelten ihren folgenden Angriff und Kiel hatte die Chance zum Ausgleich, der nach Ablauf der regulären 60 Minuten eine Verlängerung eingebracht hätte!
58. Spielminute: 29:31, Patrick Groetzki versenkte den Ball im Kieler Kasten. Gegen Thierry Omeyer war Groetzki in den vergangenen Jahren höchst selten erfolgreich gewesen, Sjöstrand verlud er hingegen völlig, der Kieler Keeper ging konsterniert in der falschen Ecke zu Boden.
Aber wieder kann Kiel einen Angriff aufziehen, zwei Tore in zwei Minuten wären absolut machbar gewesen, aber es sollte anders kommen...
60. Spielminute: Ballbesitz für die Rhein-Neckar-Löwen >>> 29:32!
Der finale Dolchstoß für die Hausherren, denen auch das letzte Tor des Tages durch Marco Vujin nichts mehr einbrachte. Der Rest war Löwen-Feierei und ein Kieler Team, das man so niedergeschlagen wirklich selten erlebt! Die historische Niederlage war besiegelt!