Ob Feuerspucken, Synchronschwimmen oder Marathon laufen – Redakteur Thore Albertsen tut das, was Sie sich wünschen. Dieses Mal packt er in der Tiertafel mit an.
Ein wenig schüchtern schaut Helga Paulsen (Name von der Redaktion geändert) mich mit ihren großen, braunen Augen an und überreicht mir den Zettel, den sie gerade zusammen mit meiner Kollegin Iris Westhowe ausgefüllt hat. Sie benötigt Futter und Streu für ihre beiden Katzen. Die 50-Jährige aus Elmshorn ist zum ersten Mal in der Tiertafel in Friedrichsort. Aufmerksam geworden auf die Einrichtung ist sie durch einen Bericht im lokalen Fernsehen. „Wir haben einen sehr schlechten Monat und können uns das Futter einfach nicht mehr leisten“, erklärt sie mir, und ihre Augen werden ein wenig glasig. Eine Freundin hat sie an diesem Tag hierhergefahren und steht ihr zur Seite. Helga Paulsen arbeitet Vollzeit als Schwesternhelferin im Altenheim, ihr Mann ist arbeitslos. Dann ging der Herd kaputt – das Gehalt war einfach zu gering.
Wie Helga Paulsen geht es vielen, die ich an diesem Tag in der Tiertafel kennenlerne. Zu geringer Lohn, schwerkrank, obdachlos – die Gründe, warum die Menschen hierherkommen, sind so vielfältig wie die Tiere, die sie haben. Vom Wellensittich über Frettchen bis hin zum Rottweiler ist alles dabei. Sie sind Freund und Trost in der Welt, die ihren Herrchen meist übel mitgespielt hat. Iris Westhowe und ihre Kolleginnen, die alle ehrenamtlich arbeiten, haben für jeden das passende Futter, Leckerlis und freundliche Worte parat. Ich bin stolz, dabei zu sein.
Bereits seit dem Mittag bereitet Iris zusammen mit mir alles für die Futter-Ausgabe vor, die jeden Freitag um 16 Uhr beginnt. Zunächst fahren wir einige der Spendenkörbe ab, die an 18 Supermärkten in Kiel und Umgebung verteilt sind. Die 47-Jährige mit dem modischen Kurzhaarschnitt kann mir bereits im Vorfeld sagen, wo die grünen Boxen am stärksten gefüllt sind. Dennoch ist es für mich erschreckend zu sehen, wie wenig in manchen zu finden ist. Vereinzelnd sind in vier Wochen nur drei Dosen Hundefutter zusammengekommen. Iris nimmt es positiv und freut sich über jede Spende, die wir mitnehmen können. Dann fahren wir in die Geschäftsräume.
Es riecht nach einer Mischung aus Tierfutter, Hund und frisch gebrühtem Kaffee. Evi Schönrock erwartet uns bereits. Die 66-Jährige nimmt mich gleich mit ins Lager. Hier türmen sich Hundekörbe, Transportboxen und Futterpackungen. Evi und Iris übergeben mir ein türkisblaues Tiertafel-Poloshirt. „Damit du jetzt auch äußerlich zu uns passt“, sagt Evi dabei lächelnd.
Als ich anfangen will, das neue Futter ins Lager zu räumen, hält Iris mich auf. „So leicht ist das nicht“, erklärt sie mir mit einem Lächeln. „Erst müssen wir alles katalogisieren – hier ist es wie auf dem Amt.“ Iris und ich setzen uns an einen kleinen Tisch im vorderen Teil der Räumlichkeiten. Jede Spende, die wir aus den Körben eingesammelt haben, muss nun mit Gewicht, Marke und Preis in große Listen eingetragen werden. Sisyphus wäre stolz auf uns.
Mittlerweile ist es 15.30 Uhr. Vor dem großen Schaufenster bildet sich bereits eine Warteschlange. „Das ist jedes Mal so“, erklärt mir Iris, „nimm noch einen Schluck Kaffee, gleich geht’s los.“ Zwei Minuten später stößt Marlies Kliesauer zu uns, die mit mir die Ausgabe machen wird. Sofort nimmt die 54-Jährige mich mit hinter den großen weißen Tresen, erklärt mir, wie viel Futter jedes Tier bekommt, worauf ich achten muss, und drückt mir zur Sicherheit drei laminierte Listen in die Hand, auf denen alles haargenau aufgeschrieben ist. Dann ist es kurz vor vier. Ich werde ein wenig nervös – ein bisschen so, wie an meinem ersten Tag bei der KIELerLEBEN. Iris klopft mir beruhigend auf die Schulter. „Hier sind alle nett, keine Angst.“
16 Uhr. Der erste Besucher kommt ins Geschäft. Ralf heißt er und hat seinen Rottweiler-Mix Rainer gleich mitgebracht. Mit seinem schwarzen Mantel und seinen langen zotteligen Haaren erinnert er mich ein wenig an Staubfinger – meine Lieblingsfigur aus Cornelia Funkes Tintenherz. Fehlt nur, dass er Feuer spucken kann. Zunächst muss Ralf eine Nummer ziehen, dann geht er zu Evi, die an einem separaten Tisch neben dem Tresen sitzt. Hier wird geklärt, ob er bereits angemeldet ist. Denn nur, wenn ermittelt ist, dass er wirklich bedürftig und auch genau in dieser Woche wieder dran ist, darf er sich bei mir Futter abholen. Doch alles ist roger, und Ralf kommt zu uns.
Marlies lässt mir den Vortritt. Ralf drückt mir seinen Zettel in die Hand und lächelt mich an. Ich muss zugeben, wenn ich Ralf auf der Straße begegnet wäre, hätte ich mich wahrscheinlich nie mit ihm unterhalten, sondern wäre ohne ein Wort weitergegangen. Jetzt beginnt er sofort zu erzählen – von seinem über alles geliebten Hund, seinem Leben. Während ich Hundeknochen und extra getreidefreies Trockenfutter zusammensuche, merke ich, wie schnell ich die Distanz zu Ralf verliere. Ich ärgere mich, wie sehr ich mich doch von Vorurteilen leiten lasse. Ralf freut sich über alles, was ich ihm gebe. Seine Augen lachen ehrlich, so wie bei Kindern. Der geschätzt 35-Jährige unterschreibt mir den Erhalt – Bürokratie muss sein – und verlässt mit Rainer das Geschäft.
Sofort geht es im Akkord weiter. Ich mache so schnell ich kann, doch an Marlies’ Tempo komme ich nicht heran. Um 19 Uhr sind wir schließlich fertig. Kleine Schweißperlen haben sich auf meiner Stirn gebildet, doch ich fühle mich glücklich und irgendwie erfüllt. Und eins ist sicher, ich werde nicht das letzte Mal hier gewesen sein – und wenn auch nur um ein bisschen Futter abzugeben. Denn jede kleine Spende hilft.
ACHTUNG: Die Tiertafel Kiel sucht einen Echtholz-Sponsor für Schlüsselbretter und Garderoben. Bei Interesse einfach eine E-Mail an tiertafelkiel@email.de.