Ob Synchronschwimmen, Feuerspucken oder Eiskunstlaufen – Redakteur Thore Albertsen tut das, was Sie sich wünschen. Dieses Mal steht er auf den Brettern, die die Welt bedeuten.Frederik, die rauchende Feuerqualle – das war wohl die größte Rolle, die ich bis jetzt in einem Theaterstück hatte. Damals war ich in der 6. Klasse, trug einen roten Sombrero und hielt zwei Zigarettenschachteln in der Hand. Der einzige Satz, den ich hatte, war: „Marlboro oder Camel?“ Damit war meine Karriere als Schauspieler aufgrund von Talentfreiheit auch schon wieder beendet.
So ist mir etwas mulmig zu Mute, als ich mich an einem Donnerstag vor der großen hölzernen Tür des Probenraums im Kellergewölbe der Niederdeutschen Bühne wiederfinde. Drinnen höre ich laute Stimmen. Herzklopfen. Gerade als ich hineingehen will, erklingt ein fröhliches „Willkommen an der Niederdeutschen Bühne“. Hinter mir steht Jürgen Witt. Er ist Schauspieler, Pressereferent, Übersetzer – eben der Mann für alles und schon seit 25 Jahren dabei. „Bereit für den großen Auftritt?“, fragt er mich schmunzelnd. Zögerlich nicke ich, und wir gehen gemeinsam in den Probenraum. Es riecht nach alten Möbeln gepaart mit einem Hauch Kaffee. So wie früher im Reetdachhaus meiner Uroma, die auch immer plattdeutsch mit mir gesprochen hat. Passt perfekt. Die Schauspieler sind gerade beim Durchspielen einer Szene und lassen sich auch nicht von uns Neu-Dazugekommenen ablenken. Hier wird für das Stück „Keerls – dörch und dörch“ geprobt. In diesem geht es um fünf norddeutsche Paketboten, die durch einen Auftritt in Frauenkleidern Geld verdienen wollen, um eine teure OP für die Tochter ihres Chefs zu bezahlen. So passt es auch perfekt, dass die fünf nebenberuflichen Schauspieler mitten in der Szene beginnen, Cancan zu tanzen. Beeindruckend, wie hoch sie dabei ihre Beine bekommen.
„Willst du nur zugucken oder auch mal was erleben?“, ruft einer der Tanzenden zu mir herüber. Ich fühle mich ertappt und geselle mich sofort dazu. Mein Herausforderer Jörn Arens nimmt mich beiseite und erklärt mir die Choreographie: erst das rechte Bein heben, dann das linke, dann zwei Schritte zur rechten Seite, dann zwei zur linken, dann nach vorne laufen und wieder nach hinten. Abschließend eine Pose. „Klingt leicht“, denke ich, habe aber vor Übermut meine angeborene Bewegungslegasthenie vergessen. Bereits nach den ersten drei Tönen weiß ich nichts mehr und folge nur noch den Bewegungen von Jörn. Der Schauspieler mit den sehr kurzen Haaren, der mich an Kindershowmoderator Peter Lustig zu seinen besten Zeiten erinnert, beherrscht jede Bewegung, als hätte er dies schon drei Jahre lang gemacht. Ich stolpere hinterher, so wie ein Anfänger beim Profieiskunstlauf, und versuche, nicht hinzufallen. Mit eisernem Willen halte ich bis zum Ende der Musik durch. Gerade als ich mich davonstehlen will, holt mich Jörn zurück. „Wir machen das jetzt, bis du das drauf hast“, sagt er grinsend und wir sechs legen wieder los. Eine halbe Stunde und gefühlte 5.000 Hüftschwünge später, lässt sich mein Mentor überzeugen, dass selbst Starchoreograph Detlef D. Soost das jetzt nicht „more sexy“ machen könnte. Wir gehen dazu über, eine Szene zu lesen.
Bei der Probe mit Jörn Arens und Hans Kallsen (v. li.)
„Super“, denke ich. Lesen, das kann ich ja. Doch mit dem Textbuch in der Hand wird mir eins plötzlich bewusst: Richtig, hier löppt ja allens op platt (frei übersetzt: hier sprich man ja nur plattdeutsch und das kann ich vielleicht verstehen, aber lesen … das wird schwierig). So hören sich meine ersten Geh- bzw. Leseversuche ein wenig kläglich an. Doch die anderen sind gnädig, ermutigen mich immer wieder und geben mir hilfreiche Ratschläge. Zumindest zwei Sätze schaffe ich dann fehlerfrei und bin deswegen sehr stolz auf mich. Jürgen Witt erklärt mir, dass hier sogar schon Menschen aus Baden-Württemberg gespielt haben. Das A und O ist einfach viel lesen und viel üben. Eben wie bei einer Fremdsprache.
Ich in meiner großen Rolle als Travestiekünstler bzw. Postbote
Nach dem Szenenlesen darf ich mit Jürgen hinter die Bühne, um das Kostüm zumindest einmal anzuprobieren. Hier ist es genau so, wie ich es mir immer in der Maske eines Theaters vorgestellt habe. Überall Kostüme, Spiegel und helles Licht, der Geruch von Puder und Make-up liegt in der Luft. „Wir nehmen das Kostüm, das du in der wichtigsten Szene anhättest – nämlich beim Cancan“, erklärt er mir feierlich und drückt mir ein blaues Kleid und eine braune Perücke in die Hand. Zunächst bin ich ein wenig erschrocken, überwinde mich dann jedoch und probiere mein neues Kostüm an. Ich bin verblüfft. Es sitzt wie angegossen. Um die braune Perücke aufzusetzen, hole ich mir Hilfe von CorinnaDall. Sie ist ebenfalls nebenberufliche Schauspielerin an der Niederdeutschen Bühne und hat eine Hauptrolle in dem Stück „Spektakel bi Chrischan“ – einer Komödie über Nachbarschaftsstreit. Mit ein bisschen Zerren und Drücken sitzt meine neue Frisur dann auch perfekt. Klassischer Bob. Ich muss lachen, als ich mich im Spiegel erblicke. Ich sehe aus wie eine Mischung aus Dackel und meiner alten Französischlehrerin Frau Meyer, die damals schon gefühlte 90 Jahre alt war. Auch Jürgen Witt kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Dann kommt mein großer Auftritt. In dem wunderschön gestalteten Theatersaal, der sofort an die prunkvollen Bauten der 20er Jahre denken lässt, haben sich meine Schauspielkollegen und ein, zwei Menschen vom Personal eingefunden. Mit schweißgebadeten Händen gehe ich auf die Bühne und darf meine zwei Sätze schon einmal vor kleinerem Publikum präsentieren, das sich gleich im Anschluss mit einem tosenden Applaus dafür bedankt. Ein besseres Gefühl gibt es wohl nicht. Ich verbeuge mich und gehe von der Bühne. Vielleicht sollte ich dem Theaterspielen doch noch mal eine Chance geben. Am besten in einem Remake von Frederik die Feuerqualle – natürlich dann auf Plattdeutsch.
In der Kulisse für das Stück „Spektakel bi Chrischan“ darf ich schon mal üben
Keerls dörch un dörch: Premiere: 2. Mai. Karten gibt’s bei den Vorverkaufsstellen des Theater Kiel, bei der Konzertkasse Streiber und im Internet unter www.eventim.de oder www.theater-kiel.de.
Fotos: Merle Primke