Aufgrund der aktuellen Wohnungsnot in Kiel stehen Studenten bei der Wohnungssuche vor einer großen Herausforderung. Das Projekt „Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land– des Studentenwerks Schleswig Holstein bietet eine tolle Wohnalternative.
Draußen ist es bitterkalt. Langsam fallen kleine Schneeflöckchen zur Erde und bedecken den Boden mit einer weißen Decke. Drinnen, im gemütlichen Wohnzimmer von Familie Strothotte, prasselt ein wärmendes Kaminfeuer. Während Mutter Eva (39) mit einem Buch ihren Feierabend genießt, spielen ihre Kinder Lara (9) und Rasmus (3) auf dem Fußboden vor dem Kamin gemeinsam mit ihrem neuen Mitbewohner Neel Peters mit duplo-Steinen.
Nachdem sich der 22-jährige Informatikstudent Neel von seiner Freundin getrennt und die gemeinsame Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im Kieler Stadtteil Hassee aufgegeben hatte, stieß er auf ein unter Kieler Studenten weit verbreitetes Problem: Bezahlbare Wohnungen beziehungsweise WG-Zimmer sind in der Landeshauptstadt rar. „Ich habe ungefähr auf 40 Wohnungsannoncen geantwortet“, erzählt er rückblickend, während er dem kleinen Rasmus noch einen duplo-Stein reicht und dieser vor Freude lacht. „Meist waren die Zimmer schon vergeben. Einmal gab es sogar über 50 Bewerber für ein WG-Zimmer“.
Die doppelten Abiturjahrgänge sowie der weggefallene Zivildienst sind unter anderem Grund dafür, dass mehr Abiturienten an die Universitäten und Fachhochschulen und somit in die Universitätsstädte wie zum Beispiel Kiel strömen. Von den rund 30.000 Studenten, die momentan in Kiel eingeschrieben sind, bekommen allerdings nur etwa sechs Prozent einen Platz in einem der Studentenwohnheime. Hilfe für alle Übrigen verspricht das seit August 2012 laufende Projekt „Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land – des Stundentenwerks Schleswig-Holstein. Die Idee des Projekts ist ebenso einfach wie genial: Studenten ziehen bei Familien, älteren oder behinderten Menschen ein und erbringen Hilfeleistungen im Haushalt, wie zum Beispiel Babysitten, Gartenarbeit oder Einkaufen. Krankenpflege ist von den Aufgaben ausgeschlossen. Im Gegenzug müssen die Studenten keine Miete, sondern nur die mit ihrem sogenannten Wohnpartner vereinbarten Nebenkosten zahlen.
Eva sieht von ihrem Buch auf und erzählt, dass sie durch ein Plakat von dem Projekt „Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land – erfahren habe. „Die momentane Wohnungssituation ist wirklich traurig. Zu meiner Studentenzeit war das nicht so. Ich wollte gerne helfen, schließlich hätte ich mir in solch einer Situation auch Hilfe gewünscht“, sagt die 39-jährige Fischbiologin. Ihr Mann ist Seemann und nur selten zu Hause. Sie selbst ist voll berufstätig. „Da bleiben viele Dinge, wie zum Beispiel die Renovierung unseres Hauses, auf der Strecke. Bei dem Projekt profitieren beide Wohnpartner von der Situation. Also habe ich uns einfach angemeldet.“
Ihr Wohnpartner Neel wurde hingegen durch eine Umfrage an der Uni auf das Projekt „Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land – aufmerksam und entschied sich dafür, das unkonventionelle Wohnverhältnis auszuprobieren. Nachdem er sich beim Studentenwerk Kiel für das Projekt angemeldet hatte, folgte ein Kennenlerntreffen mit der Familie Strothotte in ihrem Haus in Felmerholz. „Obwohl wir etwas außerhalb von Kiel wohnen, gab es doch recht viele Interessenten für das Zimmer“, erzählt Eva rückblickend. Warum sie sich für Neel entschieden hat? „Weil wir uns auf Anhieb sympathisch waren und er sich mit den Kindern gut verstanden hat“, sagt sie. Auch Neel gefiel es sofort bei der kleinen Familie. „Ich komme aus einer ländlichen Gegend und bin selbst mit vier Geschwistern aufgewachsen. Es ist fast ein wenig wie zu Hause“, erzählt er schwärmend und sieht Lara und Rasmus beim Bau eines Turmes zu. Dass er täglich zehn Kilometer mit dem Fahrrad zur Uni fahren muss, stört ihn nicht. „Die Umgebung hier ist toll und ich fühle mich so wohl, dass mir die 30-minütige Fahrt nichts ausmacht.“
Als Faustregel gilt bei dem Projekt: eine Stunde Arbeit für einen Quadratmeter Wohnfläche. „Wir achten nicht so streng darauf, ob die Zeiten eingehalten werden“, sagt Eva und ergänzt: „Neel sieht meist von alleine, was gemacht werden muss. Wenn zum Beispiel kein Brennholz mehr da ist, geht er schnell welches hacken.“ Den sogenannten Tätigkeitsnachweis, den sich die Wohnpartner zur Aufzeichnung über die abgeleisteten Arbeitsstunden von der Internetseite des Studentenwerks herunterladen können, haben die beiden gar nicht erst ausgedruckt. „Wir profitieren beide von der neuen Situation, warum sollten wir dann akribisch darauf achten, dass alle Stunden erfüllt werden?“, sagt die 39-Jährige. „Ich bin mir sicher, dass Neel die 14 Stunden für sein 14 Quadratmeter großes Zimmer ableistet – wahrscheinlich sogar mehr, denn er hilft auch beim Renovieren des Hauses und macht mit Lara Hausaufgaben.“
Neel packt fleißig mit an
Der einzige Punkt, an dem die sonst harmonische Wohnpartnerschaft geteilter Meinung ist, ist das Essen: Während sich Neel vegan ernährt und den Verzehr aller tierischen Produkte ablehnt, gibt es bei Familie Strothotte auch mal ein Stück Fleisch oder Fisch. „Am Anfang haben wir uns gegenseitig misstrauisch beäugt“, erzählt Neel lachend und steht auf, um den die duplo-Steine des mittlerweile eingestürzten Turmes einzusammeln. „Aber jeder muss für sich selbst entscheiden, was er gerne essen möchte.“ In der nächsten Woche wollen Eva und Neel einmal gemeinsam vegan kochen. „Wir können so viel voneinander lernen. Die Teilnahme an diesem Projekt hat unser Leben bereichert“, sagt Eva und Neel stimmt ihr zu.
In Kiel wurden durch das Projekt „Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land – 12 Wohnpartnerschaften vermittelt. Eva und Neel haben sich für einen unbefristeten Mietvertrag entschlossen. Für Strom, Heizung und warmes Wasser zahlt er monatlich eine Pauschale von 50 Euro. Wie lange der 22-Jährige bei Familie Strothotte bleiben möchte, weiß er noch nicht genau. Im kommenden Sommersemester möchte sich der Informatikstudent gerne eine kleine Auszeit nehmen und die Welt bereisen. „Aber danach wohnst du doch wieder bei uns?“, fragt die neunjährige Lara traurig und Neel verspricht, dass er dann wieder bei den Strothottes einzieht.
Ähnliche „Wohnen für Hilfe“-Projekte gibt es bisher in 14 deutschen Städten, wie zum Beispiel in München oder Hamburg. In Freiburg konnten bereits erfolgreich 300 Wohnpartnerschaften vermittelt werden. Um das Projekt auch in Kiel auszubauen, sucht das Studentenwerk dringend Menschen, die Wohnraum für eine kleine Hilfe im Haushalt zur Verfügung stellen. Informationen gibt es unter www.studentenwerk-s-h.de.
„Wohnen für Hilfe“ – Hand gegen Koje an Land –
Studentenwerk Schleswig-Holstein
Wohnheimverwaltung
Steenbeker Weg 20, Kiel
Tel.: (0431) 881 63 14
www.studentenwerk-s-h.de
www.wohnenfuerhilfe.info