Mittlerweile ist sie schon eine Institution geworden – die alljährliche Musikparade, die immer im ersten Quartal des Jahres durch die großen Hallen in Deutschland tourt und mit mehr als bloßem „Ufftata“ für die ältere Generation die Zuschauer begeistert. Am Freitagabend machte sie in der Kieler Sparkassen-Arena halt.Zwar gehören die 19- bis 49-Jährigen nicht unbedingt zur Zielgruppe der Musikparade, trotzdem fanden sich unter den etwa 4.000 Gästen in den nahezu vollbesetzten Rängen erstaunlich viele jüngere Zuhörer.
Aber zugegeben: Größtenteils war das Publikum deutlich über 49, Militärmusik ist eben nicht unbedingt „in“. Schade eigentlich, denn wer denkt, dass es bei einer solchen Veranstaltung nur nach strengem Protokoll zugeht, der irrt. Hier wird nicht exerziert, sondern musiziert!
Klassischer Auftakt
Den Auftakt machten zwar stilecht die bekannten Marsch-Melodien „Berliner Luft“ (Paul Lincke, 1899) und „Hoch Heidecksburg“(Rudolf Herzer, 1912), dennoch bot der Abend weit mehr. Jazz, Swing und richtig gut gemachter Big Band- Sound standen im Mittelpunkt des Abends.
Zunächst stellten sich die Delegationen der teilnehmenden Nationen vor. Zu Gast in Kiel waren Bands und Musikkorps aus den Niederlanden, Schottland, Österreich, der Ukraine, Bulgarien, Russland und Deutschland. Eigentlich nicht ungewöhnlich, für viele im Publikum dennoch sicher bemerkenswert, wären derartige Konstellationen doch vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. „Militärorchester, die vor einigen Jahren noch verfeindet waren, stehen heute gemeinsam hier auf der Bühne, auch davon lebt diese Musikparade“, erzählte Moderator Björn Gehrmann, der mit dem ein oder anderen zotigen und politisch vielleicht nicht immer ganz korrekten Späßchen durch den Abend führte. Ja, die großdimensionierte Reichstagskulisse lud vielleicht auch ein wenig dazu ein.
Sexbomb, Amazing Grace und Elvis
Als erste Band des Abends trat die Show und Marchingband „Amigo“ aus den Niederlanden mit einem launigen und schmissigen Medley alter Tom-Jones-Hits auf und setzte den ersten jazzigen Akzent des Abends.
Ein denkbar krasser Kontrast folgte dann mit der fellbemützten und rocktragenden Shirley Pipe Band aus Schottland. Beeindruckend, was für einen Sound diese Instrumente erzeugen können. Die Kieler Sparkassen-Arena war bis in den letzten Winkel erfüllt von den faszinierenden, raumgreifenden Klängen der Schotten – und ja, Amazing Grace auf dem Dudelsack gespielt, ist wirklich ergreifend und jagte bestimmt einigen Zuhörern eine Gänsehaut über den Rücken.
Sissi-Charme kam dagegen beim nächsten Orchester auf: der Wiener Regimentskapelle. Zünftig und erwartet walzerlastig ging es zu, der „Deutschmeister Regimentsmarsch“(Wilhelm August Jurek, 1893) wurde schauspielerisch in Szene gesetzt und natürlich angemessen vom „hauseigenen“ Ballett betanzt.
Der eigentliche Star des Abends waren jedoch die Jungs und Mädels des Militärmusikkorps aus Odessa. Wenn jemand an diesem Abend zeigte, dass Marschmusik alles andere als dröge und nur etwas für Opi ist, dann diese klasse Kombo! Mit originellen Melodien von der „Olympic Fanfare“(1984) bis hin zum „Holzmichl“ und ganz viel Jazz im Blut begeisterten sie das Kieler Publikum und animierten es zu sportlicher Betätigung von Fußwippen und rythmischem Klatschen bis hin zu begeistertem Mitschunkeln. Unter all den summenden Senioren kam ein wenig Musikantenstadl-Stimmung auf – das soll jedoch keineswegs degradierend gemeint sein! Die Stimmung war wirklich richtig gut – wechselseitig bei Publikum und Musikern.
Überraschende „Star“gäste
Die Ukrainer hatten dem Publikum sogar noch eine Überraschung mitgebracht und spielten als Höhepunkt noch einen Csárdás, einen folkloristischen ungarischen Tanz. Begleitet wurden sie dabei von der renommierten Geigerin Gabriella Paterson.
Die Big-Band der Polizei Saarbrücken machte nach der Pause den Auftakt und brachte mit Elvis und Trude Herr einen Hauch Fifties und Sixties nach Kiel – leider mit mäßigem Erfolg, die Akustik spielte nicht so ganz mit und Elvis' Hüftschwung musste für das „King of Rock'n'Roll-feeling“ reichen.
Die Big-Band machte ihre Sache aber richtig gut und schaffte es, mit vergleichsweise wenigen Musikern ordentlich zu swingen.
Das älteste Orchester – ausgehend vom Gründungsjahr 1884 – stellten die Bulgaren, die mit ihrem Marineorchester klassische Marschmusik mal klassische Marschmusik sein ließen und mit einem bunten Medley vom Cancan bis hin zu YMCA die Gunst des Publikums gewannen. Auch hier war wieder ganz viel Jazz im Spiel!
Zum Schluss des wahrlichen bunten Abends wurde es noch einmal märchenhaft und das Militärmusikkorps aus dem eiskalten sibirischen Perm brachte mit einer liebevollen und phantastischen Märchenreise viel Wärme in die Sparkassen-Arena. Keine Spur von militärischem Protokoll. Die Russen nahmen sich selbst nicht allzu ernst und brachten das Publikum mit ihrer Darbietung an vielen Stellen zu herzhaftem Lachen.
Furioses Finale
Zum Schluss der gut dreistündigen Show spielten noch einmal alle Orchester unter Chefdirigent Mayor Lyubomir Sukennik aus der Ukraine furios auf und verabschiedeten sich mit einem der bekanntesten Märsche, dem Radetzky-Marsch (Strauss, 1848) unter Feuerwerksfontänen, Glitzerregen und tosendem Beifall des Kieler Publikums.
Im nächsten Jahr wird die Musikparade wieder in Kiel gastieren und wer in seinem Musikgeschmack ein bisschen flexibel ist, sollte das Ganze vielleicht einfach mal ausprobieren.
Mehr Informationen unter www.musikparade.com