Im digitalen Zeitalter haucht Buchbinderin Stefanie Tönnis alten Schriftwerken neues Leben ein.Konzentriert sitzt Stefanie Tönnis an der Werkbank. In ihrer Hand hält sie ein altes Buch, die Erstausgabe von Goethes „Faust“. Der Lederrücken ist gerissen, der Einband kaputt. Es riecht nach vergilbtem Papier. Vorsichtig löst sie die einzelnen Seiten heraus.
Stefanie Tönnis ist gelernte Buchbinderin. Ein ausgefallener Beruf in Zeiten, in denen Smartphones und Computer unseren Alltag bestimmen. „Als ich 1988 nach dem Abitur vor der Wahl eines Berufes stand, gab es das alles noch gar nicht“, sagt die 46-Jährige. „Ich mochte Bücher immer gerne und wollte Restaurierung von Schriftgut und Grafik studieren. Aber dafür hätte ich ein dreijähriges Praktikum machen müssen. Schließlich entschied ich mich für die Ausbildung zur Buchbinderin.“ Diese absolvierte die gebürtige Dortmunderin mit Auszeichnung in der Buchbinderei Fritz Castagne in Kiel und bildete sich anschließend an bekannten Buchbinderschulen wie dem Centro del bel libro in Ascona in der Schweiz weiter. Obwohl Stefanie Tönnis den Vormarsch der Technologien beobachtete, blieb sie ihrem Beruf treu – oder gerade deshalb? „Echte Bücher sind etwas Tolles. Sie sind es wert, erhalten zu werden. Ich selbst könnte nie ein Buch als E-Book lesen“, sagt sie. „Es geht dabei so viel verloren. Der typische Buchgeruch, das Gefühl der Seiten zwischen meinen Fingern.“ Deshalb steht die Mutter einer elfjährigen Tochter heute noch immer in der Werkstatt der Buchbinderei – jetzt als Inhaberin. 2001 übernahm sie den Traditionsbetrieb mit der über 200-jährigen Geschichte. „Es ist toll, ein altes Handwerk am Leben zu erhalten. Vorrangig macht es mir aber einfach unheimlich viel Spaß, etwas mit den Händen zu erschaffen.“ Und Handarbeit ist hier nicht bloß ein leeres Versprechen. „Wir arbeiten hier noch fast so wie die Mönche vor 600 Jahren“, erklärt sie und lässt ihren Blick durch die offene Werkstatt mit angeschlossenem Verkaufsbereich schweifen, in der keine Maschine jünger als 60 Jahre ist. „Nur so ist es möglich, alte Bücher würdig zu reparieren.“ So gehören auch keine Spezialkleister, sondern einfaches Hühnereiweiß zu ihrem Arbeitsmaterial. „Das klebt wunderbar und ist zum Beispiel für das Befestigen von Blattgold an den Rändern der Buchseiten hervorragend geeignet.“ Wie genau diese Prozedur funktioniert, verrät Stefanie Tönnis nicht. „Die Alchemie des Buchbindens“, sagt sie lächelnd.
Man merkt, dass sie ihren Beruf liebt. Und dieser beinhaltet viel mehr als das Binden neuer Bücher und das Reparieren alter Schinken. Stefanie Tönnis hat schon vielen Büchern ein neues Leben geschenkt und so Geschichten, Erinnerungen und Kulturgüter gerettet – so wie die Erstausgabe von Goethes „Faust“, die sie jetzt, nach einer aufwendigen Umschlagreparatur und mit neuer Bindung, stolz in den Händen hält.
Weitere Infos:
Buchbinderei Fritz Castagne
Stefanie Tönnis
Faulstr. 20, Kiel
Tel.: (0431) 946 47
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