Einen Theaterabend der besonderen Art erlebten die Besucher der gestrigen Premiere von „Eine Sommernacht“, einem Stück mit Musik, im Studio des Schauspielhauses.
Die Aufführungen im Studio haben ihren ganz eigenen Charme. Die Distanz zur Bühne und zu den Schauspielern wird in dem kleinen Raum im ersten Stock, in dem etwa 50 Zuschauer Platz finden, aufgebrochen. Das Theatererlebnis ist viel intensiver und unmittelbarer. So auch bei dem Stück „Eine Sommernacht“ von David Greig und Gordon McIntyre, das am Sonntag Premiere feierte.
Den Besuchern bot sich beim Betreten des Studios ein ungewohntes Bild: Anstatt der üblichen Bestuhlung an den Seiten, erwarteten sie rosafarbene, wahllos im Raum verteilte Plastik-Drehstühle im Ikea-Stil. Dazwischen silberne, mit Bändern am Boden befestigte Gasluftballons in Herzform. Modern, verrückt, unkonventionell. Genauso waren auch die beiden Protagonisten Helena (Eva Krautwig) und Bob (Imanuel Humm). Bis jetzt. Denn jetzt beginnen die beiden Mittdreißiger, ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen. Helena hat zwar Karriere gemacht, doch ihr Privatleben ist eine Katastrophe. Lediglich einen verheirateten Liebhaber, der sie andauernd versetzt, hat die Scheidungsanwältin vorzuweisen. Und auch der Kleinkriminelle Bob merkt auf einmal, wie einsam er eigentlich ist. Während er in seiner Gangsterbande bisher immer Halt fand, steckt er nun in einer Sinnkrise. Zu allem Überfluss drohen ihn seine kriminellen Machenschaften einzuholen.
An diesem aussichtslosen Punkt in ihrem Leben begegnen sich Helena und Bob in einer Bar in Edinburgh und stürzen sich in einen spontanen, betrunkenen One-Night-Stand. Am nächsten Tag kreuzen sich ihre Wege erneut, als Helena gerade einen katastrophalen Auftritt als Brautjungfer samt vollgekotztem Kleid hinlegt und Bob mit 15.000 Euro Diebesgut auf der Flucht ist. Gemeinsam erleben die beiden einen schräg-magischen Mittsommer.
„Eine Sommernacht“ mutet durch die Inszenierung wie eine federleichte Liebesgeschichte an. Die beiden Protagonisten kommen bereits singenderweise auf die „Bühne“, bahnen sich swingend, schnippend und flirtend ihren Weg durch die Drehstühle und Luftballons. Da wird auch mal ein Drehstuhl samt Zuschauer lässig zur Seite gezogen oder kurzerhand als Requisite benutzt. Spätestens als das silberne Herz-Konfetti von der Decke regnet und coole Licht- und Raucheffekte das Studio in eine brodelnde Tanzfläche verwandeln, ist die Disco-Stimmung perfekt. Die Inszenierung von Martin Pfaff symbolisiert das ewig Flippige, Junggebliebene unserer Ikea-Gesellschaft. So wie die Zuschauer sich auf den Stühlen in jede beliebige Richtung wenden können, ist unsere Gesellschaft immer in Bewegung, verlangt Flexibilität und genießt eine ganz neue Freiheit. Eine mitunter konturenlose Freiheit, die viele als große Leere empfinden.
Helena und Bob stehen für die Generation der Dreißiger, die gebeutelt ist von Selbstzweifeln und Unzufriedenheit. Von der Angst vor der Zukunft. Die am Puls der Zeit sein will und darüber die wichtigen Dinge des Lebens vergisst. Und doch ist diese Geschichte nicht schwermütig. Auch durch den ungewöhnlichen, fragmentarischen Wechsel von Dialogen, Erzählpassagen und Songs. Eva Krautwig und Imanuel Humm sind nicht die besten Sänger, doch das machen sie durch ihr charmantes, authentisches Schauspiel wieder wett. 70 Minuten lang wird der Zuschauer auf wunderbare Art und Weise unterhalten. Eine originelle Inszenierung, eingängige Musik, tolle Schauspieler, viel Humor und gleichzeitig Tiefgang.
Weitere Termine in diesem Monat: 8., 13. und 27. Oktober, jeweils um 20.30 Uhr.
Weitere Vorstellungen und Tickets unter www.theater-kiel.de.
Alle Fotos: struck-foto