Zweieinhalb Stunden suchten Kapitän Ahab und seine Crew am Freitagabend nach Moby Dick. Und – soviel sei verraten – am Ende wurden sie schließlich fündig. Der ein oder andere Zuschauer hätte wohl nichts dagegen gehabt, hätte sich der berühmte weiße Wal schon etwas zeitiger blicken lassen. Und sei es auch nur, um mit einem kräftigen Flossenschlag kurz für ein wenig Abkühlung zu sorgen. Denn: Hochsommerliche Temperaturen ließen den Bühnenraum des Theaters am Seefischmarkt regelrecht zur Sauna werden.
Die Begeisterung über Franziska Steiofs Bühnenfassung von Herman Melvilles Klassiker kochte am Schluss allerdings mindestens ebenso heiß.
„Nennt mich Ismael“ – mit diesen berühmten Worten beginnt die Geschichte um den jungen Träumer Ismael, überzeugend gespielt von Eirik Behrendt, der als einfacher Matrose auf einem Walfänger anheuern will. Zuvor freundet er sich jedoch – trotz anfänglicher Skepsis – mit dem aus der Südsee stammenden Harpunier Queequec an, einem Kanibalen, der am ganzen Körper tätowiert ist und von Marko Gebbert liebenswert und mit viel Feinsinn dargestellt wird.
Gemeinsam landen die beiden Freunde auf der Pequod, dem Schiff Kapitän Ahabs. Doch Ahab, dessen blinden Wahnsinn Volker Hanisch ganz stark auf die Bühne bringt, will nicht irgendwelche Wale fangen, nein, er ist auf der Suche nach einem ganz bestimmten Exemplar: Er will den gigantischen, weißen Moby Dick erlegen, den Wal, der ihm einst ein Bein abgerissen hat. Und eine Golddublone wartet als Belohung auf den Matrosen, der Moby Dick zuerst sichtet.
Dass das ganze Rachegehabe irgendwie nicht gut gehen kannt, ahnt die wieder einmal sehr kraftvolle Almuth Schmidt (in Dreifachrolle) als resolute Wirtin. Über die Seemänner singt sie schon zu Beginn: „Ich kenn' ihre Lieder, spür' ihren Mut. Und weiß, am Ende wird gar nichts gut“.
Die Suche nach dem Wal inszeniert Franziska Steiof nicht nur als reines Schauspiel, sondern bricht die Szenen immer wieder durch Gesangsnummern auf. Durch die Bank liefert das Ensemble dabei sowohl gesanglich als auch darstellerisch eine einwandfreie Leistung ab: Christian Kämpfer spielt einen selbstsicheren Ersten Steuermann Starbuck, der es als einer der wenigen wagt, Ahab zu widersprechen. Gerrit Frers, der das Theater Kiel zur nächsten Saison verlässt, macht in den – zugegben auch sehr dankbaren – Rollen von Vater Mapple und Steuermann Flask noch einmal eine gute Figur.
Marie Kienecker erntete absolut zu Recht lauten Applaus für ihre einfühlsame Darstellung des Schiffsjungen Pip, einer zarten Seele, die sich zunehmend selbst verliert. Und auch Isabel Baumert, die als Walfrau immer wieder aus der geheimnisvollen Tiefe hervortaucht, spielt und singt intensiv und sicher mit starkem Blick und berührender Stimme. Herausragend einmal mehr: Roman Hemetsberger in der Rolle des Stubb, bei dem jede Bewegung, jedes Wort auf den Punkt genau sitzt.
Nachdem die Kostüme in der vergangenen Saison nicht immer ein rundes Bild ergaben, ist „Moby Dick“ optisch ein Volltreffer: Die Ausstattung von Sibylle Meyer ist schlicht schön und maritim, wirkt dabei jedoch nicht aufgesetzt und trifft so exakt den Charakter des ganzen Stückes. Ebenso schlicht gestaltet sich die Bühne: ein angedeuteter Schiffsbug, der viel (Spiel-)Raum lässt, sowohl für die Schauspieler, als auch für die Fantasie der Zuschauer. Schade eigentlich, dass Moby Dick die tolle Kulisse am Ende zum Bersten bringt und alle Seeleute in den Fluten (und bei der Hitze leider ziemlich penetrantem Kunstnebel) ertrinken. Alle? Nein. In einem schwimmenden Sarg, eigentlich gezimmert für den todkranken und dann doch wieder genesenen Queequec, gelingt es einem Mann, sich zu retten. Der Mann, mit dessen berühmten Worten „Moby Dick“ beginnt: Ismael.
Nach diesem dramatischen Finale fiel der Applaus am Freitagabend laut und ausgelassen aus, teilweise gab es sogar stehend ausgeführte Ovationen für die Darsteller und das Team hinter den Kulissen. Und es dauerte schließlich erstaunlich lange, bis sich das begeisterte Publikum aus der Theater-Sauna losreißen konnte und vor der umwerfend schönen Kulisse des Seefischmarktes dirket an der Schwentine in die laue Sommernacht verschwand.
Aufgeführt wird „Moby Dick“ im Theater am Seefischmarkt noch bis zum 18. Juli. Karten und weitere Informationen unter www.theater-kiel.de
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