Im KIELerLEBEN-Interview verrät Leo Siberski, 1. Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Kiel, warum „Don Giovanni“ ohne Kuschel-Klassik auskommt, Diplomatie nicht immer zum Ziel führt, und er undercover seiner wahren Bestimmung nachgeht.
Das Interview führte Bianca Thedens
Was steht in Ihrer zweiten Spielzeit am Theater Kiel denn Spannendes auf dem Programm?
Ich habe zwei wundervolle Stücke als Auftrag bekommen: „La Traviata“ und „Don Giovanni“. In dieser Spielzeit läuft „La Traviata“ bereits mit großem Erfolg. Den „Don Giovanni“ habe ich zwar schon assistiert, aber jetzt erfüllt sich mein Traum einen eigenen zu dirigieren. Und das in einer tollen Besetzung mit den Sängern aus unserem Ensemble. Wir arbeiten mit dem Regisseur Dariusch Yazdkhasti zusammen, der eindrucksvolle Inszenierungen am Schauspielhaus abgeliefert hat und bei diesem Stück das erste Mal auf der Opernbühne agiert. Der Unterschied ist, dass er das Timing beim Schauspiel in den Szenenwechseln oder Umbauten selbst vorgeben kann, aber diesmal legt die Musik fest, wie lang ein Satz oder eine Szene zu dauern hat.
Können Sie schon etwas zur Inszenierung des „Don Giovanni“ verraten?
Das wird sehr spannend. Wir legen großen Wert auf die Innenverhältnisse zwischen den Figuren. Außerdem nehmen wir die italienische Sprache wahnsinnig ernst und versuchen aus dem Mozart keine Kuschel-Klassik zu machen, sondern die Dramatik des Stückes, sowohl in der Musik als auch im Text und der Sängerbehandlung stark herauszustellen. Es wird ein theatralischer Don Giovanni, ganz sicher.
Gestartet haben Sie Ihre musikalische Laufbahn als eines der jüngsten Mitglieder des Bayreuther Festspielorchesters. Wie ging es dann weiter?
In meinem „früheren Leben“ war ich Solo-Trompeter an der Staatsoper Berlin. Klar, das hat mir unheimlich geholfen für mein Dirigieren. Die Erfahrung an der Weltspitze der Oper mitzuwirken hat mir viel gebracht, mir hier und dort eine Tür geöffnet. Dennoch wollte ich nicht da oben quereinsteigen, sondern das Dirigieren von der Pike auf lernen. Das hat auch gut geklappt. Nach dem Studium und einigen Assistenzen habe ich als 1. Kapellmeister am Stadttheater Bielefeld angefangen.
War Ihr Weg zum Dirigenten durch die Familie vorgezeichnet?
Musik war in meiner Familie immer ein Thema. Von klein an habe ich Trompete und Klavier gespielt. Meine Mutter ist passionierte Amateur-Musikerin, die ist richtig verrückt danach. Am ehesten habe ich meine Musikalität aber vom Vater. Er hatte in seiner Jugend immer gehört, er solle Dirigent werden, weil er so musikalisch sei. Leider kam der Krieg dazwischen. Als mein Vater zu mir sagte, werde doch Dirigent, wollte ich das gerade nicht. Die Gemeinschaft des Orchesters zog mich an, denn die Jugendorchester waren wie meine Familie. Nachdem ich jedoch die trockenere professionelle Seite des Berufsmusikers entdeckt hatte, war ich offen für Neues. Kurz bevor ich 30 wurde, wollte ich das mit dem Dirigieren doch mal ausprobieren.
Verbinden Sie ein Stück, das Sie dirigieren, mit einer persönlichen Aussage?
Natürlich. Wenn ich mich für eine Interpretation entschieden habe, muss ich die Eitelkeit besitzen das durchzuziehen. Gerade bei der Oper frage ich mich, was kannst du am besten nachvollziehen mit den Erfahrungen, die du selbst gemacht hast mit Liebe, Eifersucht oder Streitigkeit. Einerseits will ich bei der Reproduktion dem Komponisten nahe kommen, andererseits die Oper nicht Jahr für Jahr einfach nur laufen lassen. Das Schauspielerische und Lebendige habe ich auf meine Fahnen geschrieben. Ich schlafe ja selber oft ein in der Oper. Mir ist wichtig, dass die Sänger verstehen, was sie singen, damit daraus ein Theaterstück mit Musik und kein Musikstück mit Bühnenbild wird.
Wie würden denn die Musiker Ihren Stil beschreiben?
(Lacht). Emotional, glaube ich, mit sehr viel künstlerischem Willen, spontan und hartnäckig. Auf der Kehrseite unberechenbar und sicher auch manchmal nervig. Mit den Sängern arbeite ich eins zu eins auf einer intensiven brennenden Ebene. Beim Orchester brauche ich dagegen Gelassenheit und Vertrauen, damit der Klang so klar und authentisch kommt, wie ich es mir wünsche. Anfangs mussten wir uns dabei schon ein bisschen zusammenruckeln.
Was haben Sie in Ihrer Assistenzzeit von Kent Nagano gelernt?
Kent Nagano dirigiert fantastisch straff. Es gelingt ihm, einen Klang sehr transparent und zugleich ausdrucksvoll zu machen. Wir haben „Frau ohne Schatten“ zusammen eingespielt. Ein Werk, bei dem die Sänger über das riesige Orchester normalerweise gar nicht rüberkommen. Seine Art der Bewegung, seine Vorstellung vom Stück und den Klang zeichnet er mit einem ganz dünnen Pinsel. Das habe ich von ihm gelernt.
Gibt es Regisseure, mit denen Sie sich anlegen?
Klar. Ich bin total Theater-geil und deshalb offen für alles Spannende. Hauptsache es brennt. Aber ich kriege die Krise, wenn sich ein Regisseur nicht vorbereitet hat. Wenn er eine gute Idee formuliert, die außerhalb des Stückes steht, muss er das ganze Stück umändern und anschließend verifizieren, ob alles funktioniert. Tut er das nicht, denke ich oft, schreib dir dein eigenes Stück. Das ist das Resultat der vielen uninteressanten Opern-Aufführungen. Der Weg muss sein, dass Dirigent und Sänger sich mit jedem Takt, jeder Phrase und jeder Instrumentationsvariation beschäftigen. Genauso muss sich der Regisseur mit jeder Facette der Innenverhältnisse der Figuren auseinandersetzen. Da bin ich null diplomatisch.
Sie haben eine besondere Begeisterung für Cross-Over-Projekte. Welches wird Ihr nächster Coup?
Als ich Ende 2011 mit meiner Arbeit hier in Kiel begonnen habe, kam ich auf die Idee eine neue Band zu gründen, die heißt „Die Schläfer“. Ich habe einfach unter den Mitarbeitern im Theater rumgefragt, wer im Jazz- und Popbereich unterwegs ist. Zwei Bibliothekare, zwei Tänzer und einige Orchestermusiker sind dabei. Wir haben das „Die Schläfer“ genannt, weil wir in unseren Berufen undercover aktiviert werden, um dann unserer wahren Bestimmung nachzugehen. (Lacht.) Das macht echt Spaß. Von Funk, Jazz, Soul, Folk über Rock spielen wir alles. Unser nächster Auftritt ist auf dem Opernball. In der Reihe „Klassisch beflügelt“ werde ich zusammen mit Musikern aus Kiel, Saarbrücken, Berlin und Leipzig im April das Gründungskonzert des „Deux Arts Quartett“ geben, ein Kammermusik- und Jazz-Projekt. Darauf freue ich mich schon.
Hätte es passieren können, dass Sie in der Pop- oder Rockmusik landen?
Ich glaube, ich wäre gern Jazz-Trompeter geworden. Popmusik hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, schon als ich in einer Schülerband gespielt habe. Jede Woche bin ich in die Diskothek gegangen und habe zuhause wenig Klassik gehört. Schade, dass es die Trennung zwischen den Musikrichtungen überhaupt gibt. Wenn ich bei Mozart eine tänzerische Musik höre, die groovy ist, muss ich die als groovy interpretieren. Dann darf es auch mal hart und richtig rockig zugehen. Denn alles ist Musik und hat einen Zugang zu der Seele der Menschen.
Auftritte:
03. Februar 11 Uhr 5. Philharmonisches Konzert im Kieler Schloss
04. Februar 20 Uhr 5. Philharmonisches Konzert im Kieler Schloss
12. Februar 20 Uhr 4. Mozart-Konzert in der Petrus-Kirche
09. März 19:30 Uhr Premiere von "Don Giovanni" im Kieler Opernhaus