Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit. KIELerLEBEN-Redakteurin Kerstin Klostermann durfte beim Fallschirmspringen seiner Verwirklichung ganz nahekommen.
Jeder, der schon einmal Fallschirm gesprungen ist, weiß, dass man dieses Erlebnis nicht mit Worten beschreiben kann. Selbst für den erfahrenen Fallschirmspringer Yorck Vettereck, der seit fast 20 Jahren diesen Sport ausübt, ist jeder Sprung etwas Unbegreifliches. Routine kommt auch nach so langer Zeit nicht auf. „Wir Fallschirmspringer wissen nicht, was Vögel singen, aber warum sie singen.
Weil Fliegen einfach so gigantisch ist!“
In den Genuss des Fliegens, zumindest für 54 Sekunden, komme ich beim 4. Kieler Mai Boogie, einer großen Fallschirm-Veranstaltung von Skydive Kiel. Die Sonne strahlt, und am Himmel ist kaum eine Wolke zu sehen – das perfekte Fallschirmsprung-Wetter. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Mit einem erwartungsfreudigen, aber mulmigen Gefühl komme ich beim Flughafen Kiel-Holtenau an, wo schon viele andere Fallschirmspringer aus ganz Norddeutschland und Dänemark darauf warten, aus 4.000 Metern Höhe die Rapsblüte an der Kieler Förde im freien Fall zu betrachten. Sie sitzen an Biertischen, klönen, genießen die warmen Sonnenstrahlen und lassen sich das Spanferkel vom Büfett schmecken. Von Nervosität keine Spur. Die Blicke wandern immer wieder Richtung Himmel, wo neben Segelfliegern auch die vielen bunten Schirme durch die Luft gleiten.
Ich lasse mich von der ausgelassenen Stimmung anstecken. Erst als ich mir meinen Anmeldezettel hole und lese, welche Verletzungen mir im Falle eines Sturzes drohen, kommt das flaue Gefühl im Bauch zurück. Aber nach dem Motto „No risk, no fun“ setze ich wagemutig meine Unterschrift unter das Dokument und freue mich auf das, was kommt. Zusammen mit den anderen Adrenalinsüchtigen horche ich auf die Lautsprecherdurchsagen, in der Hoffnung, dass meine Flugnummer aufgerufen wird und das gespannte Warten ein Ende hat. Ich beobachte, wie andere Teilnehmer in Richtung Cessna Caravan schlendern, sich der Motor knatternd in Bewegung setzt und das Flugzeug erst langsam, dann immer schneller über die Startbahn rollt und schließlich abhebt. Immer kleiner wird die Cessna am Horizont, bis sie nicht mehr zu sehen ist. 20 Minuten später tanzen wieder die Fallschirme am strahlend-blauen Mai-Himmel.
Der Abend bricht schon an, als ich endlich meinen Tandem-Master kennenlerne: Yorck Vettereck ist extra von seinem Heimatverein YUU Skydive Fallschirmsport in Hohenlockstedt in die Fördestadt gekommen, um den Mai Boogie von Skydive Kiel zu unterstützen. Die Tatsache, dass er mit mir zusammen ungefähr seinen 1.000. Tandemsprung absolviert, beruhigt mich sehr. Seine nette, lockere Art macht es mir leicht, sofort Vertrauen zu ihm zu fassen. Zuerst schlüpfe ich in meinen Anzug, dann schnallt Yorck mir das Hängegurtzeug um Oberschenkel und Oberkörper. Ganz schön eng ist das, gibt jedoch ein sicheres Gefühl. Dann probiere ich noch meine Lederkappe auf, bevor wir die Haltung für den späteren Sprung üben: beim freien Fall Hohlkreuz, Arme im rechten Winkel neben dem Kopf, Kopf in den Nacken, Beine nach hinten abgewinkelt, Fersen am Gesäß. Und das Atmen durch die Nase nicht vergessen. „Aber das Wichtigste ist: Augen auf und Spaß haben!“, sagt York lachend.
Nach der Einweisung geht es zusammen mit 13 anderen Springern zur Cessna. Ich fühle mich entspannt, selbst als wir uns, hintereinander sitzend, in das kleine Propellerflugzeug quetschen. Wie in einer Sardinenbüchse. Die Sitzfläche vibriert ein wenig beunruhigend, als wir abheben. Durch das Fenster beobachte ich, wie Kiel, der Rathausturm, die HDW-Kräne und der Fernsehturm immer kleiner werden. Der Ausblick über die leuchtend gelben Rapsfelder, die Strände und das glitzernde Meer bis nach Dänemark – gepaart mit einem traumhaften Sonnenuntergang – ist fantastisch. Ich frage Yorck, der einen Höhenmesser am Handgelenk trägt, wie hoch wir uns mittlerweile befinden. „1.600 Meter“, sagt er gelassen. Schlagartig wird mir klar, wie weit es noch nach oben geht, nämlich auf 4.000 Meter Höhe, und dass ich dann da rausspringen muss. Wahnsinn!
Dann geht alles ganz schnell. Yorck erklärt mir noch einmal, worauf ich achten muss, ich setze Lederkappe und Fliegerbrille auf, die Flugzeugklappe öffnet sich, und die Einzelspringer stürzen sich in die minus fünf Grad kalten Lüfte. Dann schieben Yorck und ich uns zur Öffnung, ich klettere auf seinen Schoß … eins, zwei, drei … und raus! Zeit zum Aufgeregtsein bleibt nicht. Mit circa 200 Stundenkilometern und 50 Metern pro Sekunde rasen wir im freien Fall der Erde entgegen. Durch die Luftmassen, die mir mit voller Wucht entgegenschlagen, habe ich erst das Gefühl, nicht atmen zu können. Aber das legt sich schnell. Ich breite meine Arme aus und fliege wie ein Vogel. Freiheit pur. Adrenalin pur. Nach ungefähr einer Minute und in 2.100 Metern Höhe zieht Yorck die Leine, der Fallschirm öffnet sich ruckartig, und unsere Geschwindigkeit reduziert sich auf 30 Kilometer pro Stunde. Jetzt beginnt der entspannte Teil. Gemächlich kreisen wir über der Förde. Uns gegenüber: ein anderes Tandem-Paar. Jetzt darf ich auch selbst in die Schlaufen greifen und ein paar Kurven fliegen. Schließlich kommt der Flugplatz in Sichtweite, und wir bereiten uns auf die Landung vor: Ich greife mit den Händen in die Kniekehlen und ziehe meine Beine mit aller Kraft nach oben. Der Rasen kommt näher, und wir landen behutsam auf dem Hintern – nach fünf Minuten Extrem-Erlebnis.
Eine unglaubliche, wunderschöne Erfahrung, die man tatsächlich nicht in Worte fassen kann. Überglücklich falle ich Yorck in die Arme. Das war sicher nicht mein letzter Fallschirmsprung! Vielleicht mache ich beim nächsten Mal einen Minikurs, bei dem ich dann auch selbstständig springen kann. Fürs Erste bin ich aber mehr als zufrieden. „Dein 360-Grad-Grinsen wirst du die nächsten drei Tage nicht mehr los“, versichert mir Yorck beim Abschied. Er hatte Recht.
Skydive Kiel
Fallschirmspringer im Luftsportverein Kiel e.V.
Boelckestr. 100, Kiel
Tandem-Info Tel.: (0431) 799 32 53
Ausbildung Tel.: (0431) 799 32 55
www.skydive-kiel.de
Text: Kerstin Klostermann
Fotos: Wibke Freund