Gerade erfolgreich ihre Diplomarbeit bestanden, erwartete die Kieler Muthesius-Absolventin Josseline Engeler am vergangenen Wochenende in einer kleinen deutschen Stadt eine große internationale Auszeichnung: der Westerwald-Förderpreis für Keramiker.
Alles begann für die 26-jährige Kunststudentin vor drei Jahren: Gemeinsam mit ihrem Freund machte sie sich auf nach Portugal, um im Rahmen des Erasmus-Programms für zwei Semester in der portugiesischen Stadt Porto zu studieren.
"In Porto sind mir sofort die Hausfronten aufgefallen", erzählt die Muthesianerin - für eine Studentin der Freien Kunst/ Fachklasse Freie Kunst und Keramik nicht verwunderlich. Denn traditionell sind die Fassaden der portischen Häuser mit Fliesen - sogenannten Azulejos - verziert. Sie gehören zum festen Stadtbild. Allerdings wird die Instandhaltung der farbenprächtigen Mosaike in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt: Produktionsstätten sind geschlossen und Künstler, die Azulejos per Hand bemalen, sind für die meisten Hausbesitzer viel zu teuer. Und so fallen diese alten Schätze nach und nach von den einst so kunstvoll gestalteten Fassaden.
Nach ihrer Ankunft in Porto fand Josseline Engeler in einem solch alten Domizil eine Unterkunft. An der Vorderfront dieses Hauses fehlten genau drei Reihen à fünf Fliesen. Inspiration genug für die diplomierte Künstlerin, um die Hausbesitzerin davon zu überzeugen, neue Fliesen in die leeren Felder zu setzen. "Sie ist selbst Architektin und war begeistert von meiner Idee, sodass sie mir eine Art Blankoscheck für die Gestaltung ausstellte", erzählt Josseline schmunzelnd. Die Idee war geboren und ein geeignetes Motiv musste her.
Motivsuche im Haus
"Ich habe das Innenleben des Hauses sozusagen nach außen geholt", beschreibt die 26-Jährige das Produkt dieses Projekts. Das alte portische Haus dient nämlich vielen unterschiedlichen, jungen Menschen als kurzfristige Heimstatt. "Die meisten sind entweder aus dem europäischen Ausland zum Studieren oder für Praktika hier", sagt Josseline, "keiner hat wirklich lange in diesem Haus gewohnt." Und so gab es bei jedem neuen Bewohner eine ungewöhnliche Begrüßungszeremonie: "Erstmal wurde jeder zu einem Fototermin mit mir gebeten", beschreibt die Künstlerin den ersten Schritt. Daraufhin wandelte sie die Fotos in kontrastreiche Schwarz-Weiß-Vorlagen um und bemalte die fünfzehn Fliesen mit je einem Porträt per Hand. "Ich habe mit den Bildern der Bewohner die alte Tradition des Hauses und der Azulejos mit der Jugendlichkeit, dem Fortschritt und der Internationalität verbunden", so Josseline.
Die Reaktionen waren unterschiedlich: Junge Menschen gaben sich begeistert von der durch Street Art inspirierten Arbeit, ältere Menschen konnten kaum etwas mit dieser Kunst anfangen - aber einen Blick war das Ergebnis ihrer Arbeit immer wert.
Mit dieser ersten Installation begann Josselines Projekt. Mehrere Mal besuchte sie dafür schon die portugiesische Stadt. Doch will die Kieler Künstlerin die alten Fliesen nicht eins zu eins ersetzen: "Ich möchte die alte Technik mit moderner Ästhetik kombinieren." Abstrakte Ausschnitte von Fotos, die Josseline während ihres Portugal-Aufenthalts gemacht hat, sind Grundlage ihres Motivkanons.
In der Stadt der Kannenbäcker
Und so wurde ihr Ficar-Projekt nicht nur zu ihrer Diplomarbeit: Ab 2004 lernte Josseline Engeler bei Frau Prof. Dr. Abraham an der Muthesius Kiel, die sie im letzten Jahr darauf hinwies, sich für den Westerwald-Preis zu bewerben. Dieser Preis wird alle fünf Jahre ausgelobt und ist in der Keramikkünstler-Szene hoch angesehen. In fünf Kategorien wurden in diesem Jahr Keramikkünstler ausgezeichnet, fast 700 Keramiker - 332 davon aus Deutschland - haben sich hierfür beworben. "Ich konnte es kaum glauben, als dass Telefon klingelte und ich die Nachricht bekam, dass ich den Förderpreis erhalten habe", erzählt Josseline. Die Preisverleihung wurde im rheinland-pfälzischen Höhr-Grenzhausen veranstaltet: Dieser recht kleine Ort mit knapp 10.000 Einwohnern ist in Fachkreisen besser bekannt als die "Kannenbäckerstadt", denn er gilt als das Zentrum der keramischen Industrie und verfügt über ein 2000 Quadratmeter umfassendes Keramikmuseum. Und die Verleihung erhielt hohen Besuch: Staatsminster Bernd Neumann, der auch Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien ist, gratulierte den Preisträgern im Namen der Bundeskanzlerin Angela Merkel.
"Hier werden dann auch die Exponate der Gewinner und über 200 weitere Künstler aus 24 Ländern mit rund 500 Objekten ausgestellt", fasst Josseline zusammen. Der Westerwald-Preis dient so auch dazu, den Austausch zwischen europäischen Künstlern zu unterstützen, weswegen die Ausstellung anschließend durch Europa wandern wird. Auch über die 4000 Euro Preisgeld freut sich die Kielerin sehr. Sicherlich wird davon dann die ein oder andere Reise nach Porto finanziert, denn "Porto ist neben Kiel eine weitere Stadt geworden, in der ich mich heimisch fühle". Und das alles wegen ein Paar fehlender Fliesen.
Natalie Baumgärtner