"Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, den Salto Mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag!"
(Filippo Tommaso Marinetti: "Manifest des Futurismus")
Am 20. Februar 1909 veröffentlichte Filippo Tommaso Marinetti das "Manifest des Futurismus" in der Pariser Tageszeitung "Le Figaro". Es war die Geburtsstunde einer der bedeutendsten italienischen Kunstströmungen des 20.
Jahrhunderts: Der Futurismus wurde international rezipiert und gilt seiner revolutionären Ästhetik wegen zu Recht als eine der ersten Avantgarde-Bewegungen.
Europa im Futurismus-Fieber
In ganz Europa fanden in diesem Jahr Ausstellungsprojekte statt, die das 100-jährige Jubiläum des Futurismus würdigten, so beispielsweise in Venedig (Futurismo 100), in der Tate Modern in London (Futurism) oder in Berlin (Die Sprachen des Futurismus). Mit "Carte Futuriste - 100 Jahre italienischer Futurismus" beherbergt nun auch die Kieler Kunsthalle bis zum 13. Dezember eine Werkschau zu Ehren des Futurismus.
Die 15 Arbeiten bedeutender Vertreter des italienischen Futurismus, die aus mehreren italienischen Privatsammlungen stammen, haben einen langen Weg hinter sich: "Carte Futuriste" wurde bereits in Oslo, München, Bratislava und Warschau, nicht aber in Italien gezeigt. "Die Schau ist für das Ausland gedacht", erklärt Professor Sebastiano Caso, Präsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Kiel (Società Dante Alighieri). Dass ausgerechnet die Kieler auch die Möglichkeit bekommen, sich den futuristischen Ideen anhand der faszinierenden Werke zu nähern, ist der besonderen Beziehung Sebastiano Casos zu Dirk Luckow, dem ehemaligen Direktor der Kieler Kunsthalle, zu verdanken. "Herr Luckow hat mir einmal versprochen: 'Wenn Sie irgendwann einmal eine Sonderausstellung machen wollen, dann machen wir das!'", so Caso. "Mit 'Carte Futuriste' ist es nun soweit."
"Wir wollen die Museen, Bibliotheken und Akadamien zerstören!"
Die Forderungen und Ideen, die Marinetti 1909 in seinem Manifest formulierte, waren ohne Zweifel sehr radikal. So schrieb er unter anderem: "Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein." Und weiter: "Wir wollen die Museen, Bibliotheken und Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen." Diese Aufforderung ist freilich nicht wörtlich zu nehmen, sondern ist als ästhetisches Konzept zu verstehen, dass sich dogmatisch gegen die Vergangenheit und stattdessen in die Gegenwart und Zukunft wendet. Die neuen technischen Errungenschaften der Zeit - das Automobil, das Flugzeug - standen dabei im Fokus der Futuristen: "Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit." Und dass Technik schließlich die traditionelle Kunst ersetzen sollte, verdeutlichte Marinetti mit den bis heute berühmten Worten: "Ein knatterndes Automobil (...) ist schöner als die Nike von Samothrake."
Malerei voller Kraft und Dynamik
Marinettis Ideen fanden in vielen Kunstformen ihre Anwendung: in der Literatur, in der Bildhauerei, der Architektur, der Musik und natürlich auch in der Malerei. Im Jahr 1910 veröffentlichte der Maler Umberto Boccioni das "Manifest der futuristischen Maler", das unter anderem von Giacomo Balla, Luigi Russolo, Gino Severini und Carlo Carrà unterzeichnet wurde. Sie alle sind mit Arbeiten in der Kieler Ausstellung vertreten.
Das zentrale Thema der Bilder ist Dynamik. Bewegung und Geschwindigkeit sollten sichtbar gemacht und visuell erlebt werden. So setzt sich in Giacomo Ballas Bild "Automobile in Corsa" (1913) aus kraftvollen Linien und energischen Bögen das Bild eines vorbeirasenden Autos zusammen. Luigi Russolo visualisiert in "Linee-Forze della Folgore" (1912) die Kraftlinien eines Blitzes. Und Achille Funi ermöglicht mit "Motociclista + Case" (um 1914; Abbildung oben) pure Simultanität: Die Sicht auf den Fahrer entspricht dem Blick des Betrachters; die Umgebung hingegen wird so verzerrt dargestellt, wie sie der rasend-schnelle Fahrer auf seinem Motorrad sieht.
"Carte Futuriste" mag an der Anzahl der Exponate gemessen eine eher kleine Ausstellung sein. Die Qualität sowie die Bedeutung der ausgestellten Werke und Künstler jedoch machen "Carte Futuriste" zu einer wahrhaft großartigen, einer sehenswerten Ausstellung.
Am Freitag, dem 13. November, wird "Carte Futuriste" von Professor Sebastiano Caso in der Kunsthalle zu Kiel ab 19 Uhr eröffnet. Die Kuratoren Davide Sandrini und Maurizio Scudiero werden eine Einführung geben.
Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1. Bis 13. Dezember, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs 10 bis 20 Uhr, montags geschlossen. Weitere Informationen unter www.kunsthalle-kiel.de .
Franziska Falkenberg
Bild: Achille Funi "Motociclista + Case", um 1914, Tempera auf Papier, 11 x 17,5 cm.