Natürlich: Kiel ist die schönste Stadt Deutschlands – und doch lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Wir erkunden für Sie die (zweit)schönsten Orte der Bundesrepublik.Begeben Sie sich mit den Tipps von KIELerLEBEN-Redakteurin Melanie Schippling für ein Wochenende auf eine kleine Zeitreise in die Weimarer Klassik.
Wer aus dem Zug aussteigt und sich vom Weimarer Bahnhof aus auf den Weg in die Innenstadt macht, hat das Gefühl, regelrecht Geschichte zu atmen. Die Carl-August-Allee hinunter, vorbei am Standbild Ernst Thälmanns, über die Carl-von-Ossietzky-Straße, bis zum Goetheplatz. Etwas so Banales wie eine „Hauptstraße“ oder einen „Marktplatz“ scheint es gar nicht zu geben. Selbst die Hauswände der Stadt geben einem mit diversen aufgemalten Zitaten von Philosophen aller Herren Länder im Vorbeigehen Denkanstöße mit. So zum Beispiel der Ausspruch „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern“ von Heinrich Heine. Und sogar ein Fitness-Center findet Platz in einem Gebäude, was man in Kiel wohl längst zum „historischen Stadtkern“ zählen würde. Beim Schlendern durch die romantische Innenstadt verwundert es daher nicht, wenn eine Kutsche den eigenen Weg kreuzt. Wo andere Städte Taxi-Stände einrichten, werden in Weimar Parkplätze für Kutschen ausgewiesen. Die Sehenswürdigkeiten des „Klassischen Weimars“, eingetragen in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, sind allesamt fußläufig durch eine große Fußgängerzone zu erreichen. Lediglich der Historische Friedhof liegt ein wenig außerhalb. Weimar sollte man zu Fuß besichtigen, denn Parkplätze sind eher rar gesät – außer für Kutschen.
Wer heute „Weimar“ liest, wird sofort an Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe denken. Bevor die beiden Dichter allerdings zum legendären Freundschaftspaar wurden, sahen sie sich als Konkurrenten. Ihr erstes Treffen verlief 1788 eher kühl. Erst sechs Jahre nach diesem Treffen lernten sich die beiden näher kennen und schätzen. Bis zu Schillers Tod sollten sie sich beinahe täglich besuchen und über Werke diskutieren. An diese innig freundschaftliche Zusammenarbeit erinnert heute das berühmte Doppelstandbild auf dem Theaterplatz. Gemeinsam mit Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder bildeten sie alsbald das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik, dessen moderne Geisteshaltung Wellen in ganz Europa schlug. Während allerdings Schiller lange mit finanziellen Nöten zu kämpfen hatte, plagte sich Goethe mit dem Luxusproblem, dass sein hauseigener Innenhof zu klein war, als dass eine Kutsche darin wenden konnte. So benötigte er zwei Tore. Wer das Goethe-Haus am Frauenplan betritt, kann sich bildlich vorstellen, wie es zu Lebzeiten des großen Dichters gewesen sein muss. Sein Diener wäre mit der Visitenkarte des Gastes in der Hand nach oben geeilt, um wenig später mit den Worten „Seine Exzellenz lässt bitten“ den Gast nach oben zu führen. Über die Schwelle mit dem eingeschriebenen lateinischen Willkommensgruß „Salve“ betritt man ein großzügiges Haus, das von Goethes Hingebung an Kunst und Kultur zeugt. Schillers Haus in der heutigen Schillerstraße ist da schon schlichter, abgesehen von den farbig gemusterten Tapeten. Nicht minder faszinierend ist es jedoch, an seinem Schreibtisch vor dem Manuskript seines letzten, unvollendeten Werks „Demetrius“ zu stehen. Besucher haben die Gelegenheit, selbst einen Federkiel zur Hand zu nehmen und einmal so zu schreiben wie die Dichter und Denker längst vergangener Epochen. Doch Vorsicht: Wer die Feder bei den ersten Versuchen zu weit unten anfasst, läuft den restlichen Tag mit durch die Tinte bläulich gefärbten „Dichterfingern“ durch Weimar. Möchte man nach all der Museumsluft ein wenig Sauerstoff tanken, sollte man einen Spaziergang durch den beschaulichen Park an der Ilm machen. Durch diesen gelangt man auch auf den Historischen Friedhof, einen der meistbesuchten Friedhöfe Europas. Schließlich ruhen Schiller und Goethe hier in der Fürstengruft.
Das Goethe-Haus am Frauenplan
Sehr sehenswert ist die Herzogin Anna Amalia Bibliothek zurück in der Innenstadt am Platz der Demokratie, die sich als Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte mit besonderem Schwerpunkt auf der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Spätromantik versteht. Nach einem verheerenden Brand 2004 wurde der Rokokosaal restauriert und ist seit 2007 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Um die Ausstellungsstücke zu schonen, sind allerdings nur 250 Besucher täglich zugelassen. Eine vorherige telefonische Reservierung ist also ratsam, da die restlichen Karten im Tagesgeschäft bereits vormittags ausverkauft sein können.
Weimar ist allerdings nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch interessant: Johann Sebastian Bach war hier von 1714 bis 1717 Konzertmeister und Franz Liszt hatte seine künstlerisch produktivste Zeit in Weimar, als er von 1842 bis 1861 als Kappellmeister hier lebte. Unweit seines Hauses in der ehemaligen Hofgärtnerei, heute ein Museum, findet man im Park an der Ilm ein Liszt-Denkmal aus weißem Marmor.
Aber auch nach der Zeit der Klassik war Weimar prägend für die deutsche Geschichte. So gab die Stadt der ersten demokratischen Staatsform auf deutschem Boden ihren Namen: der Weimarer Republik. Im Deutschen Nationaltheater am Theaterplatz wurde 1919 die Verfassung ausgearbeitet und Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten gewählt.
Und dann gibt es da noch das Staatliche Bauhaus, das 1919 von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet wurde. Der Einfluss des Bauhauses war so bedeutend, dass sein Begriff umgangssprachlich oft mit der Moderne in Architektur und Design gleichgesetzt wird. In Weimar wurden viele dieser revolutionären Konzepte vorgedacht. Eine ständige Ausstellung im Bauhaus-Museum am Theaterplatz zeigt Arbeiten von Walter Gropius sowie von weiteren Meistern wie Lyonel Feininger und Paul Klee. Die ausgestellten Objekte veranschaulichen, wie vielschichtig, kreativ und lebendig die Bauhaus-Schule in Weimar war.
Bei so vielen berühmten Namen geht man geradezu ehrfürchtig durch Weimar. Doch es gibt auch ganz Bodenständiges: die Thüringer Rostbratwurst zum Beispiel. Diese Spezialität wird traditionell mit Senf in einem aufgeschnittenen Brötchen gegessen, und um den „echten“ Thüringer Geschmack zu erreichen, wird würziges Bier statt Wasser genutzt, um einen zu heiß gewordenen Rost auf die richtige Temperatur abzukühlen. Guten Appetit!
Weitere Infos: www.weimar-tourist.de.
Melanie Schippling