Das Glockengeläut umspielt musikalisch den wohl bedeutendsten Moment einer Trauung, wenn das Brautpaar frisch vermählt die Kirche verlässt. KIELerLEBEN bestieg mit Bernhard Mieth, Küster der Paulus-Kirche in Kiel, den Glockenturm einer der höchsten Kirchen Kiels.
In allen umliegenden Straßen und Gebäuden ist es zu hören, wenn der Küster die drei verschiedenen Glocken läutet und diese sich zur feierlichen Kirchenmelodie zusammenfügen. Automatisch formt sich bei den meisten im Kopf das Bild eines Mannes, der sich mit ganzer Körperkraft an lange, aus dem Glockenturm ragende Seile hängt und auf- und abgezogen wird, um so die Glocken zu läuten. Da muss Bernhard Mieth, seit zehn Jahren Küster in der Paulus-Kirche, lachen. „Auch die Kirche geht mit der Zeit“, meint er schmunzelnd und weist auf einen kleinen Kasten an der Wand: Zu sehen sind drei Leuchtknöpfe, jeder für eine Glocke. „Meine Mutter hat das damals noch auf dem traditionellen Weg gemacht, heute wird man kaum noch eine Kirche finden, in der das nicht alles elektronisch läuft.“
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass der 53-Jährige sich um das Geläut kümmert. Die Glockenschläge, die zur vollen Stunde je nach Uhrzeit und zur halben Stunde einmal schlagen, laufen vollautomatisch, das Geläut allerdings muss manuell abgepasst werden, da sich zum Beispiel nicht immer genau sagen lässt, wie lange ein Gottesdienst tatsächlich dauert. „Besonders bei Hochzeiten ist es wichtig, dass ich mich darum kümmere. Da gab es schon Situationen, wo das Geläut 20 Minuten gedauert hat, weil die Braut im Stau steckte – da hätten Sie das Gesicht des Bräutigams sehen sollen“, erzählt der Küster lachend.
Die Pauluskirche wird für Trauungen gerne gewählt. Besonders im Sommer bietet das Gotteshaus, umgeben vom Grün unzähliger Bäume, die perfekte Hochzeitskulisse. Doch sie ist nicht nur schön anzusehen, sie ist auch eine der höchsten Kirchen Kiels – Grund genug, den steilen Aufstieg bis in den Kirchturm zu wagen! Vorher stellt Bernhard Mieth die Automatik für den Glockenschlag ab, da es dort oben sonst zu laut werden würde.
Bernhard Mieth geht voran und erzählt über die Kirche: „1882 wurde sie als Marinekirche gebaut. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde für sie eine stattliche Höhe von 60 Metern auf einem Grund, der schon 22 Meter über Normalnull liegt, vorgesehen. So kann man sie schon früh sehen, wenn man mit dem Schiff von Laboe aus einfährt – sie ist bis heute als Landmarke in den Seekarten verzeichnet.“
Beim Aufstieg fallen weiße Krusten auf, die sich an den Innenwänden des Turmes befinden. Der Küster erklärt: „Da der Baugrund schon recht teuer war, wurde gespart, wo man konnte – leider auch am Baumaterial. Die verwendeten Backsteine waren die ersten, die industriell hergestellt wurden. Sie nehmen aber leider viel zu viel Wasser auf, und dieses spült dann das enthaltene Salz aus.“ So wurde bereits fünf Jahre nach Fertigstellung begonnen, an den ersten Ecken zu sanieren. Dafür hatte die Kirche während der Weltkriege Glück: Als eines der wenigen Gebäude in Kiel wurde sie fast nicht zerstört. Nur ein Blindgänger traf das Dach, und Fenster sowie Zierrat fielen den Druckwellen zum Opfer.
Auf der ersten Zwischenstufe angekommen, etwa auf Höhe der Decke der Kreuzgratgewölbe, fällt eine elektrische Maschinerie auf, deren Nutzen sich auf den ersten Blick nicht erschließt und die irgendwie so gar nicht in das Umfeld passen will. Auch hier muss Bernhard Mieth schmunzeln, als er erklärt: „Die Höhe der Kirche spricht viele Menschen auf ihre Art und Weise an – so auch Mobilfunkanbieter, die vor einigen Jahren mit ihrem Anliegen an uns herantraten, Sendemasten auf dem Dach befestigen zu wollen.“ Sendemasten auf einer Kirche? „Man sieht sie von außen ja nicht“, fügt der Küster hinzu.
Noch ein paar enge Stufen geht es weiter hinauf, dann noch eine schmale Leiter besteigen, die schwere Holztür öffnen, und es ist geschafft: Dieser Ausblick entlohnt wirklich für den Aufstieg. Auf der Westseite kann man ohne Schwierigkeiten bis zu den Gebäuden der Universität sehen. Auch der Wasserturm ist gut zu erkennen. Etwas in der Ferne deutet sich sogar der Weiße Riese in Mettenhof an. Auf der Ostseite fällt der Blick sofort auf den HDW-Kran, die Stena-Line-Cruiser und das Elektrizitätswerk.
Ein Blick in das Innere des Turmraumes ist aber genauso interessant: Hier hängen die drei mächtigen Glocken. Früher waren sie einmal alle aus Bronze, doch da das Metall im Krieg für Waffen benötigt wurde, wurden damals alle Glocken eingeschmolzen. Die heutige, noch vorhandene Bronzeglocke stammt vermutlich aus einem kleinen Dorf bei Stettin, heute in Polen; sie entging dem Einschmelzen und wurde nach dem Krieg in der Paulus-Kirche aufgehängt, damit die Kirche nicht ganz ohne Glocke sein musste. Die Verzierungen und Einkerbungen sind alle handgefertigt und schon vor dem Gießen der Glocke in Wachs gearbeitet. Von diesem wurde dann mit Ton ein Abdruck erstellt, der schließlich als Gussform verwendet wurde.
Man könnte ewig hier oben bleiben und den Ausblick genießen, doch so langsam wird es dunkel. Unten angekommen, stellt Bernhard Mieth die Automatik für die Glocken wieder an. Er weist auf die inzwischen leuchtenden Strahler an der Außenseite. „Wenn die Menschen den Glockenschlag hören und die Kirche auch bei Nacht sehen können, gibt ihnen das ein vertrautes Gefühl, denn wir sagen ihnen damit ‚Wir
sind für euch da!‘“