Mitten in Kiel gibt es Megafauna der Nordhalbkugel im Schnee zu bestaunen. Europäisches Wisent, amerikanisches Bison, schottisches Hochlandrind, rückgezüchtete Auerochsen und asiatischer Sikahirsch streifen durch das Kieler Wisentgehege. Bei einem gemütlichen Spaziergang durch die winterliche Wald- und Wiesenlandschaft können die großen Tiere dort beobachtet und teilweise auch gestreichelt werden.
Selbst vielen langjährigen Kielern ist es immer noch gänzlich unbekannt, das Kieler Wisentgehege.
Dabei liegt es quasi gleich um die Ecke und bietet damit Naherholung und Naturerlebnis für groß und klein fast vor der eigenen Haustür. Zwischen Skandinaviendamm im Norden und Hofholzallee im Süden beträgt die Entfernung zur Innenstadt nur etwa 10-20 Minuten mit dem Fahrrad oder Bus (Linien 6, 31 und 91 bis „Melsdorfer Str.“ oder 100/101 bis „Daimlerstr.“). Wenn man mit dem Fahrrad die Hofholzallee vom Westring kommend Richtung Mettenhof fährt, weist ein kleines Schild am Fahrradweg auf das nördlich gelegene Wisentgehege hin.
Das grüne Band: Wald, Wisentgehege und Schrebergärten
Ein Spaziergang auf dem Rundwanderweg durch das Wildgehege Hasseldieksdamm, das 12,7 Hektar groß ist, dauert bei mittlerem Tempo und ruhiger Betrachtung der Tiere etwa eine Stunde. Wer gerne etwas länger unterwegs sein möchte, kann noch durch das sich westlich anschließende Wäldchen „Hofholz“ wandern oder die östlich vom Wisentgehege gelegenen Schrebergärten erkunden. Gerade jetzt im Winter ist die Gegend auch für Skifahrer interessant und wer schon nicht selbst Langlauf betreiben möchte, kann zumindest hier und da Anhängern dieses Sports auf den Wegen begegnen. Die Radfahrer werden gebeten, auf den Wegen zu bleiben. Auch für Reiter gilt, dass sie auf den ausgewiesenen Reitwegen verbleiben müssen.
Ist man auf seinem Weg ins Gehege ein paar dutzend Meter vorgedrungen, bleibt die Stadt zurück und man befindet sich unversehens inmitten einer typisch schleswig-holsteinischen Landschaft in der Art einer Grünlandniederung mit dichtmaschigem Knicknetz. Am Rand wird diese von Wald- und Baumbestand eingerahmt. Die Weiden sind durchzogen von kleinen Weihern und Feuchtflächen wie zum Beispiel Röhricht, Sumpf- und Bruchwaldbereichen. In etwas wärmeren Jahreszeiten können hier auch Wasservögel und Graureiher beobachtet werden.
Das mächtige Bison, das gutmütige Hochlandrind
Nicht nur für Kinder und Tierfreunde sind die großen Wild- und Hausrinder die Attraktion des Geheges. Die stoisch im Schneegestöber stehenden, mächtig muskulösen Wisente und ihre amerikanischen Vettern, der Bisons, verkörpern die Würde der teils ausgestorbenen, teils in wenige Reservate verdrängten Reste eurasischer Megafauna, die einst unsere Kontinente beherrschte. Mancher mag sich auch an die alten Indianergeschichten erinnert fühlen, wenn er in die Augen eines schweren Bisonbullen blickt. Man kann sich vorstellen, wie einstmals die jungen Jäger des Stammes ihren Mut bei der Jagd auf riesige Herden dieser Kraftpakete klopfenden Herzens unter Beweis stellten. Dann ist man doch froh, dass zwei starke Zaunlinien uns heute von ihnen trennen.
Ganz anders die zotteligen und gutmütigen Hochlandrinder Schottlands. Die wetterfesten Hausrinder können im Gegensatz zu ihren hochgezüchteten heutigen Verwandten und ganz wie ihre wilden Vorfahren ganzjährig draußen bleiben sowie ihre Jungen eigenständig zur Welt bringen und aufziehen. Sie reichen einem Erwachsenen nur knapp über die Hüfte und lassen sich trotz ihrer mächtigen Hörner gutmütig am Kopf kraulen oder das zottige Fell wuscheln, wenn sie neugierig an den Zaun kommen. Wie deren dunkle Verwandte wirken die Auerochsen, bei denen es sich eigentlich um rückgezüchtete, Auerochsen ähnliche Hausrinder handelt. Der letzte echte Auerochse starb im 17. Jahrhundert in Polen, obwohl die Restpopulation von etwa zwei Dutzend Tieren bereits damals unter Schutz stand. Die heutigen Rückzüchtungen, auch „Heckrinder“, sind etwas kleiner als ihre Vorbilder. Sie lassen aber dank massigen Körperbaus und ausladender Hörner erahnen, wie unsere Vorfahren eine Begegnung mit wilden Rindern in den Wäldern Germaniens erlebt haben mögen.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Tiere bitte nicht gefüttert werden sollen. Hunde müssen an der Leine geführt werden. Wie der Verweis auf Langlaufmöglichkeiten bereits erahnen ließ, gibt es keinen Winterdienst im Gehege. Der Schnee liegt so hoch wie er fällt. Aber gerade das macht um diese Jahreszeit sicherlich auch den Zauber dieses Kieler Stücks Natur aus.
Jörg Ludolph