Ein Kindergarten ohne viel Spielzeug – geht das? Ja, sagt Redakteurin Kerstin Kristahl. Einen Tag lang begleitete sie Tim (6) und Marie (3), die beide in Heikendorf den Wald- und Naturkindergarten besuchen.
Als ich früh am Morgen vor der Haustür von Tim und Marie (Namen von der Redaktion geändert) stehe, zieht Mama Carolin die Geschwister an: Kind für Kind – Schicht für Schicht. Thermo-Unterwäsche, Wollsocken, Schneeanzug. Ich schwitze schon beim Zugucken. Gleichzeitig bekomme ich kalte Füße, als ich an mir runterschaue: Sneaker, die leichte Windjacke, keine Mütze.
Die Kinder erzählen vom gestrigen Tag. „Weißt Du, was wir gebaut haben?“, fragt mich Tim mit leuchtenden Augen. Prompt kommt auch schon seine Antwort: „Ein Labor! Da machen wir Experimente.“ Und die kleine Marie pflichtet bei: „Ja, die Großen haben den ganzen Tag dran gebaut. Sogar ein Petruskop war da drin!“ Ich muss schmunzeln. Marie meint ein Periskop.
Als wir wenig später beim Kindergarten ankommen, wuseln viele warm und bunt gekleidete Zwerge umher. 20 Kinder zwischen drei und sieben gehen „in den Wald“, wie der 2006 gegründete Wald- und Naturkindergarten Heikendorf hier genannt wird. Schnell schmatzen hier und da noch ein paar Küsschen der Mamas und Papas. Dann übernimmt das Waldteam. Das sind die Erzieherinnen Sigrid und Lisa, die FSJ-lerin Alina und Praktikantin Julia.
Die Abläufe im Waldkindergarten sind klar strukturiert. „Jeder Tag beginnt bei uns mit dem Morgenkreis“, erklärt Lisa. „Hier singen, tanzen, rechnen und spielen wir zusammen. Gemeinsam mit den Kindern entscheiden wir jeden Tag, wo es hingehen soll.“ Heute gewinnt der Kletterplatz. Als wir aufbrechen, helfen die Großen den Kleinen beim Packen der Rucksäcke. „Bei uns hat jeder einen Paten, der unter die Arme greift und hilft“, sagt Erzieherin Sigrid.
Mich überraschen die Ruhe und Aufmerksamkeit, mit der die Kinder losmarschieren. Am Kletterplatz schwärmen die Kleinen in alle Himmelsrichtungen aus. Die ersten plündern die Werkzeugkiste und beginnen, ein großes Stück Holz mit einer Feile zu bearbeiten. Andere haben Wildspuren entdeckt und nehmen die Fährte auf. Tim und sein Kumpel Julius verschwinden zielstrebig im neuen Labor. „Bis zum Frühstück ist freies Spiel angesagt“, erklärt mir Lisa. „Das ist das Besondere am Wald. Hier kann sich jeder suchen, was ihn begeistert. Wer möchte, kann sich einer Gruppe anschließen oder aber einfach mal für sich sein. Wir geben die Impulse und begleiten, wenn Bedarf besteht, aber die Kreativität entfalten die Kids von ganz alleine.“
Plötzlich kommt Marie auf uns zu gerannt. „Guckt mal, da waren Wichtel am Werk!“, ruft sie keuchend. Sigrid lächelt: „Wir versuchen, den Blick der Kinder für die kleinen Dinge zu schärfen. Das ist der Zauber des Einfachen, die Magie der kleinen Dinge. Nicht umsonst wird der Wald der dritte Pädagoge genannt. Die Kinder werden hier unglaublich einfallsreich und entwickeln tolle Ideen, weil sie die Natur mit all ihren Sinnen erleben.“ Ich verstehe, was sie meint. Alle reden von Glück und Entschleunigung. Hier ist Beides zum Greifen nahe. „Im Wald lernen die Kinder vor allem eines: Achtsamkeit mit sich und der Umwelt“, sagt Sigrid. „Sie erfahren die Natur unmittelbar und als einen wichtigen Teil von uns, den es zu schützen gilt.“
Die Vorschulkinder, zu denen auch Tim gehört, ziehen sich in ihrem letzten Halbjahr einmal in der Woche für Projektarbeit zurück. Dabei erkunden sie die Geheimnisse des Wasserkreislaufs, erforschen das Planetensystem oder machen spannende Ausflüge.
Als ich mich von den strahlenden Waldkindern verabschiede, fällt mir auf: Mir war gar nicht kalt. Die roten Bäckchen und die leuchtenden Augen scheinen anzustecken. Ich denke an Wichtel, fantastische Werkzeuge und geheimnisvolle Spuren. Doch als ich an mir runtergucke, denke ich auch an meine nächste 60-Grad-Wäsche.
Toben, Spielen, Laufen, glücklich sein – rote Bäckchen und strahlende Augen gehören im Wald zum Tagesprogramm
Waldkinder gesucht!
Mit Beginn des neuen Kindergartenjahres 2015 bietet der Waldkindergarten Heikendorf eine neue Gruppe mit bis zu 18 Kindern an. Hier gibt es noch freie Plätze! Ein neues Gebäude macht es möglich, die Betreuungszeiten zu erweitern (7.30 bis 14 Uhr) und ein leckeres, warmes Mittagessen anzubieten. Neugierig? Infos gibt es bei Nicola Specker, Tel.: (0431) 23 98 96 76 und info@waldkindergarten-heikendorf.de sowie unter www.waldkindergarten-heikendorf.de.